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Fünfte Rune.



     Schon gemeldet war die Kunde,
Hinbefördert schon die Nachricht
Von dem Untergang der Jungfrau,
Von dem Tod des schönen Mädchens.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Wurde darob gar verdrießlich,
Weinte Abends, weinte Morgens,
Weint’ die ganzen lieben Nächte,
Da die Schöne hingeschwunden,

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Da die Jungfrau so versunken

In des Meeres weiten Spiegel,
In die flutenreiche Tiefe.
     Ging voll Sorgen und mit Seufzen,
Mit gar schwerbewegtem Herzen
An den Strand des blauen Meeres,
Redet Worte solcher Weise:
„Sag’ mir, Untamo, du Träumer,
Sage deine Träume, Fauler,
Wo des Wassers Götter weilen,

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Wo Wellamo’s Jungfrau’n ruhen?“

     Sprach drauf Untamo der faule,
Also that er kund die Träume:
„Dorten sind die Wassergötter,
Dort die Jungfrau’n von Wellamo:
Auf der nebelreichen Spitze,
Auf dem waldbedeckten Eiland,
In des Meeres dunkler Tiefe,
Auf dem schwarzgefärbten Schlamme.“
     „Dorten sind die Wassergötter,

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Sind die Jungfrau’n von Wellamo,

Sitzen in dem schmalen Stübchen,
Sitzen in der engen Kammer,
In dem buntgestreiften Steine,
In des dicken Felsblocks Wölbung.“
     Ging der alte Wäinämöinen
Zu dem Stapelplatz der Böte,
Schaut mit Sorgfalt auf die Angel
Und betrachtete die Schnüre,
Nimmt die Angel in die Tasche,

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In den Sack den Widerhaken,

Fängt dann rüstig an zu rudern,
Rudert zu des Eilands Ende,
Kommt zur nebelreichen Spitze,
Zu dem waldungsreichen Ufer.
     Machte dort sich an das Angeln,
Weilte stets bei seiner Fangschnur,
Wandte sich mit seinem Handnetz,
Ließ die Angel dort ins Wasser,
Angelte und zog den Haken;

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Zitternd schwankt die Kupferruthe,

Zischend rauscht der Silberfaden
Und das goldne Schnürchen sauset.
     Endlich nun an einem Tage
Und an einem schönen Morgen
Biß ein Fischlein in die Angel,
Faßt’ ein Lachs am Eisenhaken;
Rasch zog er den Fisch ins Fahrzeug,
Zog ihn auf des Bootes Boden.
     Wendet und beschaut das Fischlein,

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Redet selber diese Worte:

„Ist ein wunderschönes Fischlein,
Hab’ dergleichen nie gesehen:
Glatter ist es als der Schnäpel,
Schimmernder denn Lachsforellen,
Grauer ist’s als große Hechte,
Flossenärmer als ein Weibchen,
Und zu nackend für ein Männchen,
Hat nicht Binden wie ein Mädchen,
Nicht den Gurt der Wassertochter,

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Hat nicht Ohren wie ein Hühnchen,

Ist als Meereslachs gestaltet,
Als ein Barsch aus tiefen Fluthen.“
     Wäinämöinen hat im Gürtel
Stets mit Silberscheid’ ein Messer,
Nimmt das Messer von der Seite,
Aus der silberreichen Scheide,
Um das Fischlein zu zerstückeln,
Um den Lachs rasch zu zerschneiden
Sich zu einem Morgenbissen,

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Sich zur Speise in der Frühe,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_025.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)