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„Sollt’ in diesen Jünglingsschaaren,
In dem wachsenden Geschlechte
Diese Schneeschuh einer schieben,
Ihren Untersatz bewegen!“
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Dieser lebensfrische Bursche:
„Wohl wird in den Jugendschaaren,
In dem wachsenden Geschlechte
Einer dieser Schneeschuh linken,

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Wird den rechten er bewegen.“

     Band den Köcher auf den Rücken,
Nahm den Bogen auf die Schulter,
Nahm den Stock in seine Hände,
Ging den linken Schneeschuh schieben,
Ging den rechten fortzustoßen,
Redet selber diese Worte:
„Nicht ist in der Welt der Höchsten,
Unter diesem Himmelsbogen,
Hier in diesem Wald zu finden,

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Nicht ein Läufer mit vier Füßen,

Den man nicht erreichen sollte,
Nicht gar schön erbeuten könnte
Mit des Kalewsohnes Schneeschuhn
Mit den Schritten Lemminkäinen’s.“
     Hiisi hörte diese Rede,
Juutas hörte diese Worte,
Hiisi machte rasch ein Elenn,
Juutas bracht’ hervor ein Rennthier,
Seinen Kopf aus faulem Stamme,

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Aus der Weide Äste Hörner,

Aus des Strandes Schilf die Füße,
Beine aus des Sumpfs Umzäunung,
Aus Staketen seinen Rücken,
Adern aus den dürren Stoppeln,
Augen aus der Pfütze Pflanzen,
Ohren aus des Teiches Blumen,
Seine Haut aus Fichtenrinde
Und das Fleisch aus faulem Holze.
     Hiisi lehret so sein Elenn,

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Redet zu ihm solche Worte:

„Laufe nun, o Elenn Hiisi’s,
Eile rasch, du edler Renner,
Zu der Elennthiere Stätten,
Zu der Lappensöhne Fluren,
Daß der Mann in Schweiß gerathe
Und vor allen Lemminkäinen!“
     Darauf lief das Elenn Hiisi’s,
Eilt das edle Rennthierjunge
Längs des Nordlands Vorrathskammern,

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Längs der Lappensöhne Fluren,

Stürzte um des Hauses Zuber,
Warf vom Feuer ab die Kessel,
Alles Fleisch hinab zur Asche,
Auf den Herd die ganze Suppe.
     Es erhob sich starkes Lärmen
Auf der Lappensöhne Fluren,
Lappenhunde thaten bellen,
Lappenkinder thaten weinen,
Lappenweiber mußten lachen,

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Andre Leute mußten murren.

     Selbst der muntre Lemminkäinen
Eilte nach dem Elennthiere,
Über Sümpfe, über Felder,
Über ausgedehnte Fluren,
Feuer sprühte aus den Schneeschuhn,
Rauch erhob sich von dem Stocke,
Nicht zu sehen ist das Elenn,
Nicht zu sehen, nicht zu hören.
     Glitt durch Schlösser, glitt durch Äcker,

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Glitt durch übersee’sche Länder,

Eilt durch alle Öden Hiisi’s,
Eilt durch alle Fluren Kalma’s,
Vor des Todes Rachen selber,
An die Gränz’ von Kalma’s Hofe,
Auf schon thut der Tod den Rachen,
Kalma senkt sich mit dem Kopfe,
Um den Helden zu erfassen,
Lemminkäinen zu verschlucken,
Konnten ihn nicht recht erreichen,

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Konnten ihm zuvor nicht kommen.

     Eine Streck’ war nicht durcheilet,
Eine Ecke nicht durchforschet
In des Nordens weiten Gränzen,
In der Lappen breitem Lande;

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_066.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)