Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 073.jpg

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Werde nimmer schlimm dich halten,
Nicht zu scharf dich vorwärts treiben
Auf des Weges kleiner Strecke,
Auf der Bahn von kurzer Dauer
Zu des Nordlands hohen Stuben,
Zu der bösen Schwiegermutter,
Werd’ dich nicht mit Riemen streichen,

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Mit der Gerte dich nicht führen,

Werde dich mit Seide streichen,
Mit der Decke Kante führen.“
     Hiisi’s Roß, das rothbehaarte,
Hiisi’s schaumbedecktges Füllen
Steckte seine goldne Schnauze,
Steckt’ sein Haupt von schönem Silber
In die schönen goldnen Ringe,
In die silberreichen Riemen.
     Also zäumte Lemminkäinen

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Endlich nun das Roß des Hiisi,

That die Zügel an die Schnauze,
An das Silberhaupt die Halfter,
Setzt sich auf der Rosses Rücken,
Auf das Kreuz von Hiisi’s Weißstirn.
     Schlägt das Roß mit seiner Peitsche,
Schwinget rasch die Weidengerte,
Eilet eine Strecke Weges,
Wiegt sich auf des Landes Höhen,
Zu den Bergen hin nach Norden,

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Zu des Schneegebirges Hügeln,

Kommt dann zu des Nordlands Stuben,
Tritt dort aus dem Hof ins Zimmer,
Sprach als er dort angekommen,
Als zum Nordland er gelanget:
„Hab’ das große Roß gezäumet,
Hiisi’s Füllen schon geschirret
Von den grünen Ackerfluren,
Von des heil’gen Feldes Gränzen,
Hab’ das Hiisi-Elenn dorten

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Auf dem Hiisifeld gefangen;

Gieb, o Alte, deine Tochter,
Gieb die Jungfrau mir zur Gattin!“
     Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Redet selber diese Worte:
„Dann erst geb’ ich meine Tochter,
Geb’ ich dir zur Braut die Jungfrau,
Wenn den Schwan im Fluß du schießest,
In dem Strom den starken Vogel,
In des Tuoni schwarzem Flusse,

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In des heil’gen Stromes Wirbeln,

Darfst es einmal nur versuchen,
Einen Pfeil darfst du nur senden.“
     Selbst der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli,
Ging den Schwan nun aufzusuchen,
Ging den Langhals zu entdecken
In dem schwarzen Flusse Tuoni’s,
In dem untern Raum Manala’s.
     Machte sich nun rasch von dannen,

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Eilte fort mit schnellen Schritten,

Hin zum Fluß des Todtenlandes,
Zu des heil’gen Stromes Wirbeln,
Mit dem Bogen auf der Schulter,
Mit dem Köcher auf dem Rücken.
     Naßhut, jener Heerdenhüter,
Nordlands Greis mit blinden Augen,
Stand dort an dem Fluß Tuonela’s,
An des heil’gen Stromes Wirbeln;
Schauet um sich in die Runde,

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Ob nicht Lemminkäinen käme.

     Dann an einem Tage endlich
Sah den muntern Lemminkäinen
Er herbei und näher schreiten
Zu dem Flusse von Tuonela,
An den Rand des Wasserfalles,
Zu des heil’gen Stromes Wirbeln.
     Sendet rohrgleich aus dem Meere,
Aus dem Wogen eine Schlange,
Stößt sie durch das Herz des Mannes,

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Durch die Leber Lemminkäinen’s

Durch die linke Achselhöhle
Hin zum rechten Schulterblatte.
     Fühlt der muntre Lemminkäinen
Schon gar heftig sich getroffen,
Redet selber solche Worte:
„Schlimm hab’ ich daran gehandelt,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_073.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)