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Hin zum großen Kampfgetümmel,
In die Schlacht mit gleichen Köpfen,
Hundert Männer saßen rudernd,
Tausend andre standen drinnen,
An der Spitze hingen Bogen,

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Schwerter an den Ruderbänken;

Sage endlich doch die Wahrheit,
Ernstlich ohne vorzulügen,
Wohin gehst du, Wäinämöinen,
Steuerst du, o Freund der Wogen!“
     Sprach der alte Wäinämöinen
Selber Worte solcher Weise:
„Komm, o Mädchen, in mein Fahrzeug,
Steig, o Jungfrau, in den Nachen,
Dann will ich die Wahrheit sagen,

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Ernstlich ohne vorzulügen.“

     Annikki, die Zinngeschmückte,
Giebt zur Antwort solche Worte:
„Mag der Wind ins Boot dir steigen,
Und der Sturm in deinen Nachen!
Werde um dein Boot dir kehren,
Stürz’ es sammt dem Vorderstamme,
Wenn die Wahrheit ich nicht höre,
Wohin du zu gehen denkest,
Nicht genau die Wahrheit höre,

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Und das Lügen du beendest.“

     Sprach der alte Wäinämöinen
Selber Worte solcher Weise:
„Will genau die Wahrheit sagen,
Log ich auch zuvor ein wenig:
Ging die Jungfrau heimzuführen,
Um das Mädchen anzuhalten
Aus dem nimmerhellen Nordland,
Aus dem düstern Sariola,
Aus dem Ort der Menschenfresser,

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Wo die Helden man ertränket.“

     Annikki mit gutem Namen,
Sie, der Nacht und Dämmrung Tochter,
Als die Wahrheit sie gehöret,
Ohne Lug die ganze Wahrheit,
Ließ die Tücher ungeklopfet,
Ließ die Röcke ungespület
An des breiten Steges Kante,
An der rothen Brücke Ende,
Raffet mit der Hand die Röcke,

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Mit der Faust faßt sie die Säume,

Macht sich rasch davon zu gehen,
Eilt alsbald in starkem Laufe,
Kommet in das Haus des Schmiedes,
Gehet selber hin zur Esse.
     Dorten weilte Ilmarinen,
Er, der ew’ge Schmiedekünstler,
Schmiedet eine Bank aus Eisen,
Schmückt dieselbe aus mit Silber,
Ruß war armhoch auf dem Kopfe,

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Kohlen klafterhoch am Halse.

     Hin zur Thüre trat Annikki,
Redet Worte solcher Weise:
„Bruder, Schmieder Ilmarinen,
Du, der ew’ge Schmiedekünstler!
Schmiede mir ein Weberschiffchen,
Schmied’ mir nette Fingerringe,
Zwei, ja drei der Ohrgehänge,
Fünf, ja sechs der Gürtelketten,
Werde dir die Wahrheit sagen,

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Ohne allen Lug getreulich!“

     Sprach der Schmieder Ilmarinen:
„Sagest du mir gute Worte,
Schmied’ ich dir ein Weberschiffchen,
Schmied’ ich nette Fingerringe,
Schmied’ ein Kreuz dir für den Busen,
Bess’re aus dir deinen Kopfschmuck,
Sagst du aber schlechte Worte
Brech’ ich deinen Schmuck in Stücke,
Werf’ ihn von dir in das Feuer,

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Stoße ihn in meine Esse.“

     Annikki mit gutem Namen
Redet Worte solcher Weise:
„O du Schmieder Ilmarinen,
Denkst du wohl noch heimzuführen
Die du einstmal dir verlobet,
Dir zum Weibe auserlesen!“
     „Schmiedest ohne aufzuhören,
Hämmerst ja zu allen Zeiten,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_098.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)