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Zwanzigste Rune.


     Welche Weisen sollen wir nun,
Welche Lieder wir jetzt singen?
Laßt uns diese Weisen singen,
Diese Lieder jetzt beginnen:
Von dem Schmause in Pohjola,
Von dem fernen Trinkgelage.
     Lange rüstet man zur Hochzeit,
Lang’ bereitet man die Sachen
In Pohjola’s großen Stuben,

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In den Häusern Sariola’s.

     Was wohl wurde hingeschaffet,
Was wohl dorten hingetragen
Zu des Nordens langem Schmause,
Zu der Schaaren Trinkgelage,
Zu der Sättigung der Leute,
Zu des großen Schwarms Bewirthung?
     Wuchs ein Ochse in Karelen,
War ein fetter Stier in Suomi,
War nicht groß, nicht von den kleinen,

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War ein Kalb gehör’ger Größe:

Bei den Jämen mit dem Schweife,
Mit dem Kopfe bei dem Kemi,
Hundert Klafter lang die Hörner,
Hundert fünfzig breit am Maule,
Eine Woche sprang ein Wiesel
Längs dem Weidenband am Halse,
Einen Tag lang flog die Schwalbe
In dem Zwischenraum der Hörner,
Eilt’ mit Mühe zu dem Ziele,

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Ohne in der Mitt’ zu ruhen,

Einen Monat lief das Eichhorn
Von der Schulter bis zum Schweife,
Konnte zu der Spitz’ nicht kommen,
Eh’ der Monat noch verflossen.
     Dieses Kalb gewalt’ger Größe,
Dieser starke Stier Suomi’s
Ward geleitet aus Karelen
Zu des Nordlands Flurengränzen,
Hundert Männer an den Hörnern,

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Tausend hielten an dem Maule,

Als den Stier sie weiter führten,
     Nach dem Nordland hin ihn schafften.
     Vorwärts schritt der Stier des Weges
An dem Sunde Sariola’s,
Frißt das Gras an Sumpfesquellen,
An die Wolken streift der Rücken,
War ein Schlächter nicht zu finden,
Keiner, der den Ochsen fällte,
Aus der Zahl der Nordlandssöhne,

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In der Schaar des großen Volkes,

In dem steigenden Geschlechte,
In der Schaar der Altgewordnen.
     Kam ein Alter aus der Fremde,
Wirokannas aus Karelen,
Redet Worte solcher Weise:
„Warte, warte, armer Ochse,
Wenn ich mit der Keule komme,
Wenn ich mit dem Kolben haue
Auf den Schädel dir, o Armer,

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Wirst du nicht im nächsten Sommer,

Nicht dein Maul mehr wenden können,
Mit der Schnauze nicht mehr stoßen
An den Rand von diesem Felde,
An der Mündung dieses Sundes!“
     Ging der Alte um zu hauen,
Wirokannas an die Arbeit,
Palwoinen nun an das Schlachten;
Seinen Kopf bewegt der Ochse
Und verdreht die schwarzen Augen,

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Auf die Fichte springt der Alte,

In’s Gebüsch rasch Wirokannas,
Auf die Weiden los Palwoinen.
     Emsig sucht man einen Metzger,
Der den Stier wohl schlachten könnte
Aus dem Lande der Karelen,
Aus Suomi’s großen Räumen,
Aus dem stillen Land der Russen,
Aus dem kühnen Land der Schweden,
Von der Lappen breiten Gränzen,

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Aus dem Zauberland von Turja,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_112.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)