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Für die Helden, die ermüdet,
Für die Männer, die ermattet?“
War kein Fleisch dort in dem Schlosse,
Fische nicht auf diesem Hofe.
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Feuer mag die Burg verzehren,

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Wasser sie von dannen führen!“

Ging dann selber immer weiter,
Schreitet muthig durch die Waldung
Auf ganz unbebauten Wegen,
Auf gar unbekannten Stegen.
     Schor der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli,
Weiche Wolle von den Steinen,
Schnitt sich Fasern von den Felsen,
Flocht sie sich zurecht zu Strümpfen,

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Macht’ sich Schuhe draus behende

In des Frostes weiten Sitzen,
Bei der Kälte argem Wüthen.
     Ging den Weg nun zu erkunden
Und die Richtung aufzusuchen;
Zu dem Walde ging die Richtung,
Führte ihn die Bahn des Weges.
     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„O du Tiera, mein Geliebter!

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Kamen doch schon irgendwohin,

Da wir Monde, Tage wandern
Immerfort im Raum der Lüfte.“
     Tiera redet diese Worte,
Läßt sich selber also hören:
„Sind zur Rache, ach! wir Armen,
Zur Vergeltung, Unglücksvolle,
In den großen Krieg gezogen
Nach dem nimmerhellen Nordland,
Um die Seele dort zu lassen,

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Selbst auf immer zu vergehen

Auf den allerschlimmsten Stellen,
Auf den unbekannten Wegen.“
     „Können es ja nimmer wissen,
Nimmer wissen es und sagen,
Welcher Weg uns führen könnte,
Welcher Fußsteig uns geleiten
An des Waldes Rand zu sterben,
Auf den Flächen umzukommen,
In dem Heimathland der Raben,

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Auf der Krähe Ackerfeldern.“

     „Fleißig schleppen hier die Raben,
Tragen Vögel Fleisches Stücke,
Fleisch erhaschen hier die Vöglein,
Heißes Blut die gier’gen Krähen,
Ihren Schnabel tauchen Raben
In den Leichnam von uns Armen,
Tragen das Gebein auf Steine,
Tragen es zu stein’gen Klippen.“
     „Ach! nicht weiß die arme Mutter,

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Sie, die mühvoll mich getragen,

Wo ihr Fleisch sich jetzt befindet,
Wo ihr Blut sich jetzt beweget,
Ob in großen Sumpfesflächen,
Ob im Kampf mit gleichen Köpfen,
Oder auf des Meeres Rücken,
Auf den schönbekränzten Fluthen,
Oder bei dem Hopfenberge,
Auf dem Wege zu dem Busche.“
     „Gar nichts kann die Mutter wissen

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Von dem ärmsten ihrer Söhne,

Denket nur, daß er gestorben,
Meinet, daß er umgekommen;
Also weinet da die Mutter,
Klaget so die greise Alte:
„„Dort nun ist mein armes Söhnchen,
Dort mein Liebling, o ich Arme,
Säet aus die Saat Tuoni’s,
Egget bei den Häusern Kalma’s,
Wohl erhält von meinem Sohne,

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Wohl von meinem Kind, ich Arme,

Volle Ruhe nun der Bogen,
Daß die schöne Waffe trockne,
Schön kann sich der Vogel mästen,
In dem Laub das Feldhuhn flattern,
Bären nun gemächlich leben,
Auf dem Feld das Rennthier spielen.““

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_191.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)