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Fünfunddreißigste Rune.


     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Er, der Knab mit blauen Strümpfen,
Blieb von nun an dort zu leben
In der Obhut seiner Eltern;
Konnte nicht verständig werden,
Mannes Einsicht nicht erlangen,
Da er unrecht war erzogen
Und gewiegt auf dumme Weise
Bei dem Pfleger voll Verkehrtheit,

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Bei dem Wieger voller Dummheit.

     Zu der Arbeit stellt der Knabe,
Machte sich an manche Dinge,
Ging um Fische einzufangen,
Um das Fischnetz auszustellen,
Redet’ selber diese Worte,
Sprach, das Ruder in den Händen:
„Soll mit ganzer Kraft ich ziehen,
Rudern mit der Jugendstärke
Oder soll ich mäßig ziehen,

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Rudern nur soviel als nöthig?“

     Von dem Steven sprach der Hauswirth,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Ziehest du mit allen Kräften,
Ruderst du mit Jugendstärke,
Wirst du doch das Boot nicht brechen,
Seine Ränder nicht zerschlagen.“
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Ruderte mit allen Kräften,
Mit der ganzen Jugendstärke,

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Ruderte entzwei die Ränder,

Brach die Rippen von Wachholder,
Sprengt das Espenboot in Stücke.
     Ging Kalerwo zuzuschauen,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Nicht verstehest du zu rudern,
Hast die Ränder ganz zerrudert,
Hast die Rippen von Wachholder
Und das Espenboot zerbrochen;
Gehe in das Netz zu scheuchen,

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Bist vielleicht zum Scheuchen besser.“

     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Ging nun in das Netz zu scheuchen,
Selber sprach er bei dem Scheuchen,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Soll ich mit der Kraft der Schultern,
Mit der Manneskraft hier scheuchen,
Oder soll ich mäßig scheuchen,
Scheuchen nur soviel als nöthig?“
     Sprach des Netzes Führer also:

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„Wäre auch ein rechtes Scheuchen,

Würd’ es ohne Kraft der Schultern,
Ohne Manneskraft geübet?“
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Scheuchte mit der Kraft der Schultern,
Mit der ganzen Kraft des Mannes,
Rührt zu dickem Brei das Wasser,
Schlägt zu lauter Werg das Scheuchnetz,
Und zerschlägt zu Schleim die Fische.
     Kam Kalerwo zuzuschauen,

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Redet’ Worte solcher Weise:

„Taugest gar nicht zu dem Scheuchen,
Schlägst zu Werg das schöne Scheuchnetz,
Schlägst die Propfen mir in Stücke,
Schlägst die Keile ganz in Splitter;
Geh’ die Steuer zu entrichten,
Geh’ die Abgab’ fortzubringen!
Bist vielleicht zum Reisen besser,
Auf dem Weg’ vielleicht verständ’ger.“
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,

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Er, der Knab’ mit blauen Strümpfen,

Mit den schönen, goldnen Haaren,
Mit den hübschen Lederschuhen,
Ging die Steuer zu entrichten,
Ging des Bodens Frucht zu zahlen.
     Als die Steuer er entrichtet,
Er gezahlt die Frucht des Bodens,
Schwingt er sich in seinen Schlitten,
Nimmt dort Platz auf seinem Sitze,
Fing nun an nach Haus’ zu fahren,

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Nach der Heimath fortzureisen.
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_212.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)