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Griff der weise Wäinämöinen,
Dieser ew’ge Zaubersprecher,
Hastig drauf in seine Tasche,
Suchte in dem Lederbeutel,
Holt hervor des Schlafes Pfeile,
Streichet Schlummer auf die Augen,
Schließet fest die Augenwimpern,
Sperret durch ein Schloß die Blicke
Von dem mattgewordnen Volke,

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Von den eingeschlafnen Helden;

Senket sie in tiefen Schlummer,
Daß sie lange schlafen mußten,
Alle Leute von Pohjola
Und das Volk des ganzen Dorfes.
     Ging den Sampo dann zu holen
Und zu schau’n den bunten Deckel
Aus dem Steinberg von Pohjola,
Aus des Kupferberges Innerm,
Hinter neun der stärksten Schlösser,

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Hinter zehn, zählt man den Riegel.

     Fing der alte Wäinämöinen
An mit leiser Stimm’ zu singen
An des Kupferberges Eingang,
An dem Saum des Felsenschlosses;
Schon erbebt des Schlosses Pforte
Und erkracht die Eisenangel.
     Selbst der Schmieder Ilmarinen
Schmierte darauf sammt dem Andern
Mit dem Fett des Thores Schlösser,

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Mit dem Speck des Thores Angeln,

Daß die Thür nicht heulen möchte,
Nicht die Angeln kreischen möchten;
Dreht das Schloß mit seinen Fingern,
Hebet mit der Hand die Riegel,
Öffnet ohne Müh’ die Schlösser
Und gar leicht die festen Thore.
     Sprach der alte Wäinämöinen
Selbst drauf Worte solcher Weise:
„O du muntrer Lemminkäinen,

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Du, der höchste meiner Freunde,

Geh den Sampo nun zu fassen,
Raffe fort den bunten Deckel!“
     Ging der muntre Lemminkäinen,
Dieser schöne Kaukomieli,
Stets bereit auch ungebeten,
Voller Raschheit ungepriesen,
Um den Sampo zu erfassen,
Fort den Deckel auch zu raffen,
Redet’, als er dahin schreitet,

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Rühmte sich auf seinem Gange:

Wie ein Mann in mir nun stecket,
Wie ein Held im Sohne Ukko’s,
Werd’ der Sampo fortgeschoben,
Werd’ der Deckel umgewendet
Mit des rechten Fußes Hülfe,
Durch Berührung mit der Ferse!“
     Schieben that nun Lemminkäinen,
Schieben er und fleißig wenden,
Faßt den Sampo mit den Armen,

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Stemmt die Kniee auf den Boden,

Nicht bewegte sich der Sampo,
Senkte sich der bunte Deckel;
Wurzeln hatte er getrieben
In die Tiefe von neun Klaftern.
     War ein guter Stier im Nordland,
War von einem kräft’gen Wuchse,
War gar zähe an den Seiten,
Wunderschön an seinen Sehnen;
Hatte klafterlange Hörner,

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An dem Maule zweithalb Klafter.

     Nahm den Stier vom Grasgefilde,
Einen Pflug vom Saum des Feldes,
Ackert aus des Sampo Wurzeln
Und des bunten Deckels Fasern;
In Bewegung kam der Sampo,
Und der bunte Deckel senkt sich.
     Bracht’ der alte Wäinämöinen,
Mit ihm Schmieder Ilmarinen,
Drittens endlich Lemminkäinen

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Nun den großen Sampo also

Aus dem Steinberg von Pohjola,
Aus des Kupferberges Innerm;
Führen ihn nach ihrem Boote,
Bergen ihn in ihrem Schiffe.

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_245.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)