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Hebt ihn auf an seinen Ohren,
Fragte ihn und redet’ kräftig,
Redet’ Worte solcher Weise:

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„Iku-Turso, Sohn des Alten!

Weshalb stiegst du aus dem Meere,
Weshalb kamst du aus der Tiefe
Vor das Aug’ der Menschenkinder
Und zumal der Kalewsöhne?“
     Iku-Turso, Sohn des Alten,
War drob nicht gar sehr voll Freude,
War auch nicht zu sehr erschrocken,
Gab durchaus ihm keine Antwort.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft

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Forscht’ genau zum zweiten Male,

Fragte scharf zum dritten Male:
„Iku-Turso, Sohn des Alten!
Weshalb stiegst du aus dem Meere,
Weshalb kamst du aus den Fluthen?“
     Iku-Turso, Sohn des Alten,
Gab nun bei dem dritten Male
Diese Worte ihm zur Antwort:
„Deshalb stieg ich aus dem Meere,
Deshalb kam ich aus den Fluthen,

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Hatt’ in meinem Sinn die Absicht,

Kalew’s Stamm hier zu vertilgen,
Sampo nach dem Nord zu bringen;
Läß’st du mich nun in die Fluthen,
Läß’st du mir mein schmählich Leben,
Komm’ ich nicht zum zweiten Male
Vor das Aug’ der Menschenkinder.“
     Ließ der alte Wäinämöinen
Frei ihn wieder in die Fluthen,
Redet selber diese Worte:

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„Iku-Turso, Sohn des Alten,

Steige nicht mehr aus dem Meere,
Komme nicht mehr aus den Fluthen
Vor der Menschenkinder Augen,
Von dem heut’gen Tag gerechnet!“
     Niemals ist seit diesem Tage
Turso aus dem Meer gestiegen
Vor der Menschenkinder Augen,
So lang’ Mond und so lang’ Sonne,
So lang’ als das Licht des Tages,

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Als die Lüfte Freude leihen.

     Lenkt der alte Wäinämöinen
Vorwärts nun mit seinem Boote;
Wenig Zeit war hingegangen,
Kaum ein Augenblick verflossen,
Schon läßt Ukko in dem Himmel,
Selber er, der Herr der Lüfte,
Kräft’ge Winde heftig blasen,
Starke Stürme wüthend toben.
     Winde fingen an zu blasen,

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Heft’ge Stürme an zu toben;

Gräßlich blies der Wind aus Westen,
Heftig schnitt der Wind aus Südwest,
Kräft’ger kam der Wind aus Osten,
Scheußlich heulte er aus Südost,
Gräulich schrie der Wind aus Nordost,
Heftig brüllt’ der Wind von Norden.
     Blies die Blätter von den Bäumen,
Blies vom Nadelholz die Nadeln,
Blies die Blumen von der Heide,

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Blies die Fäserchen vom Grase;

Trieb den schwarzen Sand des Grundes
Auf des klaren Wassers Fläche.
     Heftig bliesen da die Winde,
Peitschten da das Boot die Wogen,
Führten fort die Hechtesharfe,
Die von Fischbein war geschaffen,
Zu der Lust des Volks Wellamo’s,
Zu des Ahtovolkes Freude;
Ahto sah sie auf den Wogen,

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Auf den Fluthen seine Kinder,

Nahmen fort die schöne Harfe,
Tragen sie in ihre Heimath.
     Trat dem alten Wäinämöinen
Darauf Wasser in die Augen;
Selber spricht er diese Worte:
„Fort entschwand was ich gewonnen,
Fort ist meines Sinnes Labsal,
Meine Freude hingesunken;
Werde nie in Zukunft wieder,

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Nie so lange ich noch lebe,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_249.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)