Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 268.jpg

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Ist das liebe Geld erschienen,
Schreitet auf dem Weg das Goldstück,
Gab der Wald den Honiglecker,
Seinen Luchs der Wirth des Haines,
Da ihr singend hier erscheinet,

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Jubelnd auf den Schneeschuhn laufet?“

     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
„Fing die Otter ich zum Sange,
Gottes Thier es zu besingen,
Deshalb komm’ ich hieher singend,
Jubelnd deshalb auf den Schneeschuhn.“
     „Ist jedoch nicht eine Otter,
Keine Otter, auch ein Luchs nicht,
Selbst der Ruhmerfüllte kommet,

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Ist des Waldes Zier, die schreitet,

Er, der Alte, der erscheinet,
Er, der Träge, der hier kommet;
Ist der Fremde euch erwünschet,
Mögt das Thor ihr offen machen;
Scheinet euch der Fremde unlieb,
Möget ihr dasselbe schließen!“
     Antwort giebt das Volk ihm also,
Reden so die schönen Leute:
„Sei gegrüßt, o Bär, beim Kommen,

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Honigtatz’, da du erschienen

Auf dem reingefegten Hofe,
Auf dem schöngeschmückten Raume!“
     „Hoffte dieses ja mein Leblang,
Wartete in meiner Jugend,
Daß Tapio’s Horn erklänge,
Daß des Waldes Pfeife tönte,
Daß des Waldes Gold erschiene,
Daß sein Silber hieher käme
Auf den kleinen Raum des Hofes,

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Auf die engen Ackergassen.“

     „Hoffte wie ein Jahr voll Wachsthum,
Wartete wie auf den Sommer,
Wie auf frischen Schnee der Schneeschuh,
Wie auf glatte Bahn der Schlitten,
Wie ein Mädchen auf den Freier,
Auf die Ehehälft’ der Rothwang’.“
     „Saß des Abends an den Fenstern,
Morgens saß ich stets am Thore,
Wochenlang ich an der Pforte,

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Mondenlang ich bei der Ausfahrt,

An der Scheun’ im Lauf des Winters;
Stand im Schnee, bis hart er wurde,
Sich der harte Schnee erweichte,
Sich das Land in Klumpen ballte,
Diese sich mit Staub bedeckten
Und der Staub zu grünen anfing:
Dachte also alle Morgen,
Hatte dieß in meinem Kopfe:
„Wo wohl weilt der Bär so lange,

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Zaudert so des Waldes Liebling,

Ist nach Ehstland er geeilet,
Ist aus Suomi er gewichen?“
     Sprach der alte Wäinämöinen
Selber darauf solche Worte:
„Wohin soll den Gast ich führen,
Wo den goldnen hingeleiten,
Soll ich ihn zur Scheune führen,
In die Strohbehausung legen?“
     Gab das Volk ihm diese Antwort,

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Reden so die schönen Leute:

„Führe dahin unsern Fremden,
Leit’ du unsern Gast, den goldnen,
Unter ruhmerfüllte Sparren,
In die schöngeschmückte Wohnung;
Dort ist Speise schon bereitet,
Vorrath ist dort für den Trinker,
Alle Bretter sind gefeget,
Alle Planken reingekehret,
Alle Weiber angekleidet

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In den allerreinsten Kleidern,

Mit den wunderhübschen Binden,
Mit den blendenden Gewändern.“
     Sprach der alte Wäinämöinen
Selber darauf diese Worte:
„Otso, du mein liebes Vöglein,
Schönster mit den Honigtatzen!
Giebt noch Land für dich zu gehen,
Giebt noch Fluren zu durchmessen.“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_268.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)