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Mit des Schwertes Feuerklinge,

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Mit dem flammenreichen Eisen,

Daß der Stein in zwei der Stücke,
Daß in drei er rasch zerberstet.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schaute in des Steines Spalten,
Trinken Bier dort viele Schlangen,
Würze schlürfen ein die Nattern
In des bunten Steines Innerm,
In dem Schooß des leberfarb’gen.
     Sprach der alte Wäinämöinen

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Selber Worte solcher Weise:

„Deshalb hat die arme Wirthin
Bier hier weniger erhalten,
Da die Schlangen Bier hier trinken,
Nattern von dem Malztrank schlürfen!“
     Schneidet ab der Schlangen Köpfe,
Bricht der bösen Nattern Nacken,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Mögen nie im Lauf der Zeiten,

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Von dem heut’gen Tag’ gerechnet,

Schlangen Bier in Zukunft trinken,
Nattern von dem Malztrank schlürfen!“
     Sucht der alte Wäinämöinen,
Dieser ew’ge Zaubersprecher,
Mit der Faust die Thür zu rütteln,
Mit der Worte Kraft die Riegel!
Hände öffnen nicht die Thüre,
Worte achten nicht die Riegel.
     Sprach der alte Wäinämöinen

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Selber Worte solcher Weise:

„Weib nur ist der Waffenlose,
Schwächling ist der Beilberaubte.“
Ging sofort nun in die Heimath,
Schiefen Kopfes, schlechter Laune,
Daß den Mond er nicht erhalten,
Nicht die Sonne schon ergriffen.
     Sprach der muntre Lemminkäinen:
„O du alter Wäinämöinen!
Weßhalb hast du nicht genommen

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Mich zu deinem Kampfgenossen,

Hätt’ die Schlösser schon gesprenget,
Hätt’ die Riegel schon zerbrochen,
Hätt’ geführt den Mond zum Scheinen,
Hätt’ erweckt die Sonn’ zum Leuchten.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
„Worte brechen nicht die Riegel,
Zauber sprenget nicht die Schlösser,
Fäuste können sie nicht rühren,

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Nicht der Ellenbogen wenden.“

     Ging nun nach des Schmiedes Esse,
Redet Worte solcher Weise:
„O du Schmieder Ilmarinen!
Schmied’ mir einen starken Dreizack,
Schmiede mir ein Dutzend Hacken,
Einen starken Bund von Schlüsseln,
Daß den Mond ich aus dem Steine,
Aus dem Fels die Sonne hole.“
     Selbst der Schmieder Ilmarinen,

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Dieser ew’ge Schmiedekünstler,

Schmiedet was der Mann verlangte,
Schmiedet ihm ein Dutzend Hacken,
Schmiedet ihm ein Bündel Schlüssel,
Schaffet ihm ein Bündel Speere,
Nicht zu große, nicht zu kleine,
Schmiedet sie von Mittelgröße.
     Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Nordlands Alte arm an Zähnen,
Leget Flügel an die Hüften,

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Flieget flatternd durch die Lüfte;

Flieget in des Hauses Nähe,
Flieget darauf in die Weite,
Durch das weite Meer Pohjola’s,
Zu der Esse Ilmarinen’s.
     Öffnet da der Schmied sein Fenster,
Schauet ob der Wind wohl wehte;
War kein Wind, der dort gekommen,
War ein Habicht grau an Farbe.
     Spricht der Schmieder Ilmarinen

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Worte nun auf solche Weise:

„Was wohl suchest du, o Vöglein,
Weßhalb sitzst du an dem Fenster?“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_287.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)