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Bei dem unbeweibten Manne
Oder beim beweibten Helden?“
     Marjatta, das Kind voll Schönheit,
Giebt zur Antwort diese Worte:
„Weder bei dem unbeweibten,

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Noch beim Manne, der beweibet;

Ging zum beerenreichen Berge,
Ging die Preiselbeere pflücken,
Faßt’ die Beere mit dem Sinne,
Nahm sie darauf mit der Zunge,
Rasch glitt sie in meine Kehle,
Schlüpfte sie in meinen Magen;
Darauf wurd’ ich voll und schwanger,
Habe daher meine Fülle.“
     Bittet um ein Bad den Vater:

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„Theurer Vater, den ich liebe!

Gieb mir eine warme Stelle,
Eine Stätte, die erwärmet,
Wo die Arme Ruhe findet,
Daß sie ihre Qual ertrage.
     Sprach der Vater diese Worte,
Giebt der Alte ihr zur Antwort:
„Gehe, Buhle, du von dannen,
Weich’ von hinnen, Feuerbuhle,
Zu dem Felsenhaus des Bären,

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Zu des Brummers Steingemächern,

Kannst, o Buhle, dort gebähren,
Dort, du Schlechte, niederkommen!“
     Marjatta, das Kind voll Schönheit,
Redet weise diese Worte:
„Keineswegs bin eine Buhle,
Bin ich eine Feuerbuhle,
Werde einen großen Helden,
Werd’ gebähren einen Edlen,
Der den Mächt’gen wird gebieten

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Und zumal dem Wäinämöinen.“

     In Bedrängniß war die Jungfrau,
Wohin ziehen, wohin gehen,
Wo ein Bad sie bitten sollte;
Redet Worte solcher Weise:
„Piltti, du mein kleinstes Mädchen,
Du die beste von den Mägden!
Bitte um ein Bad im Dorfe,
Bitt’ es von dem Sarabache,
Wo die Arme Ruhe findet,

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Daß sie ihre Qual ertrage;

Gehe schnell und eil’ behende,
Da es schleunigst ist vonnöthen!“
     Piltti, dieses kleine Mädchen,
Redet Worte solcher Weise:
„Wen soll um das Bad ich bitten,
Wen um Hülfe ich ersuchen?“
     Sprach die gute Mariatta,
Redet selber diese Worte:
„Frag’ ein Bad du von Ruotus,

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An der Mündung von dem Schilfbach!“

     Piltti, dieses kleine Mädchen,
War gehorsam ihrem Worte,
Fertig stets auch ungebeten,
Rasch selbst ohne alle Mahnung,
Eilt hinaus dem Dampfe ähnlich,
Auf den Hof dem Rauch vergleichbar;
Hebt den Saum mit ihren Armen,
Mit den Händen ihre Röcke,
Eilt und läuft mit raschem Schritte,

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Grade zu dem Haus des Ruotus;

Berge bebten, als sie schreitet,
Hügel wankten, als sie eilet,
Zapfen sprangen auf der Heide,
Steine hüpften auf dem Sumpfe;
Kam zum Hause des Ruotus,
Tritt hinein in seine Wohnung.
     Ißt im schönen Hemd Ruotus,
Ißt und trinkt nach Art der Großen
An des Tisches Rand im Hemde,

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In dem Hemd vom besten Flachse.

     Sprach Ruotus bei dem Mahle,
Auf den Tisch gestützt mit Barschheit:
„Was wirst du, o Schlechte, sagen,
Woher kommst du hergelaufen?“
     Piltti, dieses kleine Mädchen,
Redet Worte solcher Weise:
„Komme um ein Bad zu bitten,
An dem Sarabach zu bitten,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_291.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)