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Voltaire: Kandide. Erster Theil

Diese abwechselnde Auftritte gaben immer neuen Stof zu neuen lebhaften Abhandlungen; wenn sie sich aber ausdisputirt hatten; herrschte eine so unausstehliche Langeweile unter ihnen, daß die Alte sich eines Tages unterstand, folgende Frage aufzuwerfen: Ich möchte wohl wissen, was schlimmer ist, hundertmal von Morischen Seeräubern geschändet zu werden, sein halbes Hinterkastell sich abnehmen zu lassen, bei den Bulgaren Spiesruten zu laufen, bei einem Autodafé gestäupt und aufgehängt zu werden, sich seziren zu lassen, als Sklav auf den Galeeren zu rudern, kurz all’ das Elend auszustehn, das wir insgesamt erlitten haben, oder sein ganzes Leben, die Händ’ im Schoosse, so hier zuzubringen. Eine wichtige Frage! sagte Kandide.

Diese Frage brachte neue Betrachtungen auf die Bahn, und Martin zumahl nahm Anlas hieraus zu folgern, der Mensch sei dazu geboren, sein Leben entweder in beständigen, krampfartigen Regen und Bewegen zuzubringen, oder in der unthätigsten, schlaraffenhaftesten Langenweile.

Kandide war ganz andrer Meinung, die er aber nicht äusserte. Panglos räumte zwar ein, er habe stets das gräslichste Elend erduldet; verfocht aber demungeachtet sein einmal angenommnes System: Diese Welt ist doch die beste, auf’s eifrigste, ohn’ im geringsten daran zu glauben.

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_197.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)