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4 Einleitung. 0

In der That ist auch nichts natürlicher, wenn man unter diesem Wort das versteht, was billiger und vernünftiger Weise geschehen sollte; versteht man aber darunter das, was gewöhnlicher Maaßen geschieht, so ist hinwiederum nichts natürlicher und begreiflicher, als daß diese Untersuchung lange Zeit unterbleiben mußte. Denn ein Theil dieser Erkentnisse, die mathematische, ist im alten Besitze der Zuverläßigkeit, und giebt dadurch eine günstige Erwartung auch vor andere, ob diese gleich von ganz verschiedener Natur seyn mögen. Ueberdem, wenn man über den Kreis der Erfahrung hinaus ist, so ist man sicher, durch Erfahrung nicht widersprochen zu werden. Der Reiz, seine Erkentnisse zu erweitern, ist so groß, daß man nur durch einen klaren Widerspruch, auf den man stößt, in seinem Fortschritt aufgehalten werden kan. Dieser aber kan vermieden werden, wenn man seine Erdichtungen behutsam macht, ohne daß sie deswegen weniger Erdichtungen bleiben. Die Mathematik giebt uns ein glänzendes Beyspiel, wie weit wir es unabhängig von der Erfahrung in der Erkentniß a priori bringen können. Nun beschäftigt sie sich zwar mit Gegenständen und Erkentnissen, blos so weit als sich solche in der Anschauung darstellen lassen. Aber dieser Umstand wird leicht übersehen, weil gedachte Anschauung selbst a priori gegeben werden kan, mithin von einem blossen reinen Begriff kaum unterschieden wird. Durch einen solchen Beweis von der Macht der Vernunft aufgemuntert,

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_004.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)