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297 Einleitung. 297

Fall geschärft wird, so verschwindet er gänzlich. Der transscendentale Schein dagegen hört gleichwol nicht auf, ob man ihn schon aufgedekt und seine Nichtigkeit durch die transscendentale Critik deutlich eingesehen hat. (z. B. der Schein in dem Satze: die Welt muß der Zeit nach einen Anfang haben). Die Ursache hievon ist diese: daß in unserer Vernunft (subiectiv als ein menschliches Erkentnißvermögen betrachtet) Grundregeln und Maximen ihres Gebrauchs liegen, welche gänzlich das Ansehen obiectiver Grundsätze haben und wodurch es geschieht, daß die subiective Nothwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe, zu Gunsten des Verstandes, vor eine obiective Nothwendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten wird. Eine Illusion, die gar nicht zu vermeiden ist, so wenig als wir es vermeiden können, daß uns das Meer in der Mitte nicht höher scheine, wie an dem Ufer, weil wir iene durch höhere Lichtstrahlen als diese sehen, oder, noch mehr, so wenig selbst der Astronom verhindern kan, daß ihm der Mond im Aufgange nicht grösser scheine, ob er gleich durch diesen Schein nicht betrogen wird.

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 Die transscendentale Dialectik wird also sich damit begnügen, den Schein transscendenter Urtheile aufzudecken, und zugleich zu verhüten, daß er nicht betriege; daß er aber auch (wie der logische Schein) so gar verschwinde und ein Schein zu sein aufhöre, das kan sie niemals bewerkstelligen.

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Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_297.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)