Seite:Kant Critik der reinen Vernunft 316.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
316 Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. 316

 Die platonische Republik ist, als ein vermeintlich auffallendes Beyspiel von erträumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des müßigen Denkers ihren Sitz haben kan, zum Sprichwort geworden, und Brucker findet es lächerlich: daß der Philosoph behauptete, niemals würde ein Fürst wol regieren, wenn er nicht der Ideen theilhaftig wäre. Allein man würde besser thun, diesem Gedanken mehr nachzugehen und ihn, (wo der vortrefliche Mann uns ohne Hülfe läßt) durch neue Bemühungen in Licht zu stellen, als ihn, unter dem sehr elenden und schädlichen Vorwande der Unthunlichkeit, als unnütz bey Seite zu stellen. Eine Verfassung von der größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen: daß iedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kan, (nicht von der grössesten Glückseligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen) ist doch wenigstens eine nothwendige Idee, die man nicht blos im ersten Entwurfe einer Staatsverfassung, sondern auch bey allen Gesetzen zum Grunde legen muß, und wobey man anfänglich von den gegenwärtigen Hindernissen abstrahiren muß, die vielleicht nicht sowol aus der menschlichen Natur unvermeidlich entspringen mögen, als vielmehr aus der Vernachlässigung der ächten Ideen bey der Gesetzgebung. Denn nichts kan schädlicheres und eines Philosophen unwürdigeres gefunden werden, als die pöbelhafte Berufung auf vorgeblich widerstreitende Erfahrung, die doch gar nicht existiren würde, wenn iene Anstalten zu rechter Zeit nach den Ideen

getrof-
Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_316.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)