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472 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. 472

 Ein ieder von beiden sagt mehr als er weiß, doch so: daß der erstere das Wissen, obzwar zum Nachtheile des Practischen aufmuntert und befördert, der zweite zwar zum Practischen vortrefliche Principien an die Hand giebt, aber eben dadurch in Ansehung alles dessen, worin uns allein ein speculatives Wissen vergönnet ist, der Vernunft erlaubt, idealischen Erklärungen der Naturerscheinungen nachzuhängen und darüber die physische Nachforschung zu verabsäumen.

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 Was endlich das dritte Moment, worauf bey der vorläufigen Wahl zwischen beiden strittigen Theilen gesehen werden kan, anlangt: so ist es überaus befremdlich, daß der Empirismus aller Popularität gänzlich zuwider ist, ob man gleich glauben sollte, der gemeine Verstand werde einen Entwurf begierig aufnehmen, der ihn durch nichts als Erfahrungserkentnisse und deren vernunftmäßigen Zusammenhang zu befriedigen verspricht, an statt daß die transscendentale Dogmatik ihn nöthigt, zu Begriffen hinaufzusteigen, welche die Einsicht und das Vernunftvermögen der im Denken geübtesten Köpfe weit übersteigen.

Aber

    sind noch iezt sehr richtige, aber wenig beobachtete Grundsätze, die speculative Philosophie zu erweitern, so wie auch die Principien der Moral, unabhängig von fremden Hülfsquellen auszufinden, ohne daß darum derienige, welcher verlangt, iene dogmatische Sätze, so lange als wir mit der blossen Speculation beschäftigt sind, zu ignoriren, darum beschuldigt werden darf, er wolle sie läugnen.

Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_472.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)