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511 VIII. Absch. Regulatives Princip d. r. Vernunft etc. 511

(Philosophen) wollen an dessen statt nur den Ausdruck von einem progressus in indefinitum gelten lassen. Ohne mich bey der Prüfung der Bedenklichkeit, die diesen eine solche Unterscheidung angerathen hat, und dem guten oder fruchtlosen Gebrauch derselben aufzuhalten, will ich diese Begriffe in Beziehung auf meine Absicht genau zu bestimmen suchen.

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 Von einer geraden Linie kan man mit Recht sagen, sie könne ins Unendliche verlängert werden, und hier würde die Unterscheidung des Unendlichen und des unbestimbar weiten Fortgangs (progressus in indefinitum) eine leere Subtilität seyn. Denn, ob gleich, wenn es heißt: ziehet eine Linie fort, es freilich richtiger lautet, wenn man hinzu sezt, in indefinitum, als wenn es heißt, in infinitum; weil das erstere nicht mehr bedeutet als: verlängert sie, so weit ihr wollet, das zweite aber: ihr sollt niemals aufhören sie zu verlängern (welches hiebey eben nicht die Absicht ist), so ist doch, wenn nur vom können die Rede ist, der erstere Ausdruck ganz richtig; denn ihr könt sie ins Unendliche immer grösser machen. Und so verhält es sich auch in allen Fällen, wo man nur vom Progressus, d. i. dem Fortgange von der Bedingung zum Bedingten, spricht; dieser mögliche Fortgang geht in der Reihe der Erscheinungen ins Unendliche. Von einem Elternpaar könt ihr in absteigender Linie der Zeugung ohne Ende fortgehen und euch auch ganz wol denken, daß sie wirklich

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_511.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)