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556 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. 556

die Art, wie sie sich in ihren Wirkungen zeigt, sich verändern), in ihr gehe kein Zustand vorher, der den folgenden bestimme, mithin sie gehöre gar nicht in die Reihe der sinnlichen Bedingungen, welche die Erscheinungen nach Naturgesetzen nothwendig machen. Sie, die Vernunft, ist allen Handlungen des Menschen in allen Zeitumständen gegenwärtig und einerley, selbst aber ist sie nicht in der Zeit und geräth etwa in einen neuen Zustand, darin sie vorher nicht war; sie ist bestimmend, aber nicht bestimbar in Ansehung desselben. Daher kan man nicht fragen: warum hat sich nicht die Vernunft anders bestimt, sondern nur: warum hat sie die Erscheinungen durch ihre Caussalität nicht anders bestimt. Darauf aber ist keine Antwort möglich. Denn ein anderer intelligibeler Character würde einen andern empirischen gegeben haben und, wenn wir sagen: daß unerachtet seines ganzen, bis dahin geführten, Lebenswandels, der Thäter die Lüge doch hätte unterlassen können, so bedeutet dieses nur: daß sie unmittelbar unter der Macht der Vernunft stehe, und die Vernunft in ihrer Caussalität keinen Bedingungen der Erscheinung und des Zeitlaufs unterworfen ist, der Unterschied der Zeit auch, zwar einen Hauptunterschied der Erscheinungen respective gegen einander, da diese aber keine Sachen, mithin auch nicht Ursachen an sich selbst sind, keinen Unterschied der Handlung in Beziehung auf die Vernunft machen könne.

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_556.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)