Seite:Keplers Traum 089.jpg

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entgegengesetzt; denn erst stand er unten, nun oben, hat also eine halbe Umdrehung gemacht. Bei 3/4 seines Weges steht der Punkt in aIII und wenn endlich der Mond seinen Lauf um die Erde beendet hat, hat auch der Punkt seine Drehung beendet und steht wieder in a. Man sieht also, dass er sozusagen immer bei der Stange geblieben ist und sich doch gedreht hat, und ferner erkennt man, dass der Mond bei seiner Bewegung um die Erde dieser immer dieselbe Seite zukehrt [wie auch die glatte Schraffirung zeigt]. Denn wenn der Mond sich nicht gedreht hätte, so würde bei seinem Umlauf der Punkt a zunächst nach b, dann nach bI, weiter nach bII und endlich auch wieder nach a gelangen, wir würden aber dadurch immer verschiedene Seiten des Mondes [wie die punktirte Schraffirung andeutet] zu sehen bekommen; da das aber nicht der Fall ist, so folgt, dass der Mond sich dreht und zwar, dass er diese seine Drehung während seines wahren Umlaufes um die Erde nur einmal vollbringt, derart, dass die Zeiten beider Bewegungen genau zusammenfallen. Hierin liegt eben die Lösung des scheinbaren Widerspruchs.

Populär kann man sich die Sache veranschaulichen, wenn man einen Apfel an eine Gabel spiesst und sich, die Gabel mit ausgestrecktem Arm in der Hand haltend, auf dem Absatze herumdreht; man hat dann ein Bild, wie der Mond sich um seine Axe drehen und uns doch immer dieselbe Seite zukehren kann.

Ein indirecter Beweis ist das sogn. Ferrier-Rad, das auf der letzten Weltausstellung in Chicago Aufsehen erregte. Dieses Rad ist einem sehr grossen Wasserrade vergleichbar, in welchem an Stelle der Schaufeln Waggons in Zapfen drehbar aufgehängt sind; dreht sich nun das Rad, so machen die Passagiere in den Waggons eine sehr interessante Luftreise. Ein im Mittelpunkt des Rades stehender Beobachter – Erde – wird, wenn er einen in Bewegung befindlichen Waggon – Mond – verfolgt, nach und nach alle 4 Seiten zu sehen bekommen: steht der Waggon über ihm, den Boden, steht er unter ihm, die Decke und steht er ihm je zu den Seiten, so wird er in die linken resp. rechten Fenster hineinsehen. Dass der Waggon sich aber nicht um sich selbst dreht, ergiebt schon die einfache Ueberlegung, da ja sonst die Passagiere durcheinandergeworfen werden würden.

Keplers ‚Traum‘ wird uns später noch Gelegenheit geben [C. 108 ff.], auf die Flecken des Mondes und die Bewegung unseres Satelliten näher einzugehen, ich bemerke der Vollständigkeit halber aber hier gleich, dass durch die von Galilei später mit Hülfe des Fernrohrs entdeckten Schwankungen des Mondes uns dieser doch nicht immer genau dieselbe Seite zuwendet und dass demnach Alles, was Kepler daraus folgert, nur annähernd – allerdings sehr annähernd – richtig ist.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 061. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_089.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)