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88.


Alle über die Temperaturen auf der Mondoberfläche etwa gemachten Angaben können naturgemäss auf irgend eine Genauigkeit keinen Anspruch machen, in’s Besondere können sie mit denjenigen auf unserer Erde nicht verglichen werden, wo, wie wir wissen [C. 43], die Atmosphäre einen wohlthätigen Ausgleich von Wärme und Kälte vermittelt. Wenn beispielsweise Diesterweg[UE 1] die Temperaturen auf dem Monde als ausserordentlich wechselnd, so im Laufe eines Mondtages von + 200 und selbst 300° bis zu – 120 und 130° angiebt, so bleibt er uns den Grund für diese Annahme schuldig.

Einen besseren Vergleich liesse vielleicht der Planet Merkur zu, der nach der neuesten Entdeckung Schiaparellis[UE 2] sich in derselben Weise um die Sonne bewegt, wie unser Mond um die Erde, so dass er der Sonne – wie unser Mond der Erde – immer dieselbe Seite zuwendet. Unter der gleichen Annahme, dass auch dem Merkur eine Atmosphäre fehlt, würden die Temperaturunterschiede nur noch in weit grösserem Maassstabe statthaben, denn da der Merkur einestheils der Sonne viel näher ist wie der Mond, anderseits die Sonne zum Centralkörper hat, so würde die Gluth auf der subsolaren Hemisphäre ohne Grenzen sein, die Kälte auf der prisolaren Hälfte hingegen könnte analog derjenigen auf der privolvanen Hemisphäre des Mondes gedacht werden. Wir wissen leider wenig von dem Oberflächenzustand unseres sonnennächsten Planeten, allein es ist wohl sicher, dass der Merkur mit einer Atmosphäre umgeben ist, die also die Temperaturverhältnisse modificiren würde.

Wenn Kepler die Hitze auf dem Monde 15mal glühender als die in Afrika schätzt, so ist diese Annahme aus der Erwägung entstanden, dass die Sonne den Mond ungefähr in einer 15mal längeren Periode bescheint wie die Erde, und Afrika von den damaligen Geographen als das heisseste Land angesehen wurde.[UE 3]

Mit einem geringen Schein von Berechtigung könnte man vielleicht die Temperatur des Weltraumes auch für die Kälte einer privolvanen Mitternacht annehmen. Die Kälte im Weltraum ist von Herschel[UE 4] auf −146° C. berechnet, eine Temperatur, die das in Sibirien[UE 5] beobachtete Kälteextrem von 68° C. allerdings weit hinter sich lässt; s. auch C. 157.

Anmerkungen des Übersetzers

  1. A. Diesterweg, „Populäre Himmelskunde“. 1891. 15. Aufl.
  2. Giovanni Virginia Schiaparelli, Astronom, geb. 1835 in Savigliano; seit 1862 Direktor der Sternwarte in Mailand.
  3. Die höchsten Temperaturen, + 55° C., sind in Australien beobachtet.
  4. John Fr. W. Herschel, geb. 1792 zu Slough, gest. 1871 zu London, berühmter Astronom, Sohn von Fr. W. Herschel, des Entdeckers des Planeten Uranus.
  5. In Ostsibirien, Jakuten-Gebiet.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 088. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_116.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)