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Falle dem Monde Theile der Erdoberfläche gegenüberstehen, welche eine grössere Albedo haben, als die, welche ihm im letzteren Falle gegenüberliegen. In der That, wenn in Mittel-Europa der Mond kurz vor dem Neumonde in den Morgenstunden am Osthimmel steht, so erhält er das Erdlicht hauptsächlich von den grossen Plateauflächen Asiens und Afrikas; steht er aber nach dem Neumonde Abends im Westen, so kann er nur den Reflex von dem schmaleren amerikanischen Continent und hauptsächlich von dem weiten Ocean in geringerer Menge empfangen.

Etwas wirkt bei dieser Erscheinung indessen auch wohl der Umstand ein, dass am Morgen, wo der abnehmende Mond zu sehen ist, das frische Auge weniger gegen so schwache Lichteindrücke abgestumpft ist, als am Abend zur Zeit der zunehmenden Sichel, wo es den ganzen Tag schon durch allerlei Eindrücke in Anspruch genommen war.

Die erste richtige Erklärung von der Natur des aschfarbenen Lichts des Mondes schreibt Kepler seinem Lehrer Mästlin[UE 1] zu, welcher dieselbe 1596 in den zu Tübingen öffentlich vertheidigten Thesen vorgetragen hatte. Galilei sprach[UE 2] von dem reflektirten Erdlicht als von einer Sache, die er seit mehreren Jahren selbst aufgefunden; aber 100 Jahre vor Kepler und Galilei, sagt Humboldt im Kosmos[UE 3], war die Erklärung dem alles umfassenden Genie des Leonardo da Vinci[UE 4] nicht entgangen.


142. [198.]


Die Mitte nimm hier nicht in Rücksicht auf einen einzelnen [bestimmten] Punkt auf dem Monde, sondern auf das ganze Verweilen des Mondes im Schatten der Erde. Denn dann sendet der Mond, selbst des Lichts entbehrend, auch keins auf die Erde oder Volva, welche dann dem ganzen Monde alles Sonnenlicht abschneidet.

Es ist also dies der Zeitpunkt, wo für den subvolvanen Mond überall totale Sonnenfinsterniss, für die Erde überall dort, wo der Mond über dem Horizont steht, totale Mondfinsterniss beobachtet wird.


143.


Meine Leser, die mir bis hierher gefolgt sind, werden mit mir der Ansicht sein, dass Kepler, soweit der damalige Stand der astronomischen

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Michael Mästlin, einer der aufgeklärtesten Männer der damaligen Zeit, bedeutender Mathematiker, auch Astronom; geb. 1550 in Göppingen, gest. 1631 zu Tübingen.
  2. Im ‚Sternboten‘, s. Einleitung, S. IX.
  3. Kosmos III, S. 497 ff.
  4. Leonardo da Vinci, berühmter italienischer Künstler und vielseitiger Gelehrter; geb. 1452 in Vinci bei Florenz, gest. 1519 auf Schloss Cloux.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_155.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)