Seite:Keplers Traum 168.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mit umgestülptem Rande über den Tropfen zusammenschlägt und eine korallenförmige Krone bildet. Diese flacht mehr und mehr ab, bis endlich in der aufgestörten Flüssigkeit allmählig wieder Ruhe eintritt.

Je nachdem nun – das Beispiel auf unsere Theorie angewandt – die aufeinandertreffenden Materien mehr oder weniger Consistenz angenommen haben, meine ich, werden sich diese oder jene Configurationen bilden und in mannigfaltiger Abwechslung bestehen bleiben.


152. [212.]


Den Ausdruck ‚Erde‘ gebrauche ich für ‚Mondmasse‘.[UE 1] Ich glaubte annehmen zu müssen, dass die Lebewesen auf dem Monde nach Analogie ihrer Berge gestaltet seien. Und ich gab ihnen nicht nur einen unsern Geschöpfen ähnlichen Körper, sondern auch die Fähigkeit zu athmen, zu hungern, zu dursten, zu wachen, zu schlafen, zu arbeiten und zu ruhen; s. auch N. [216].


153.


Es ist interessant, sich hierbei des Schwereverhältnisses auf der Mondoberfläche zu erinnern, das einer solchen Schilderung günstig ist.

Die Schwere auf dem Monde[UE 2] ist nämlich 61/2mal geringer, als auf der Erde und dadurch werden alle Bewegungen leichter: unser Körper z. B. würde, alles Uebrige gleich gesetzt, auf dem Monde mit der grössten Leichtigkeit erstaunliche Wirkungen ausüben können, weil ihm die Schwere einen 61/2mal geringeren Widerstand entgegenstellt. 100 m Höhe oder Entfernung könnten wir auf dem Monde mit derselben Leichtigkeit überwinden, als 151/2 m bei uns u. s. w.

Wenn Kepler auch das Gesetz der Schwere im Newtonschen Sinne nicht gekannt hat, so hatte er doch einen Begriff von dem Massenverhältniss des Mondes zur Erde und scheint bei der Inauguration seiner Mondgeschöpfe Rücksicht hierauf genommen zu haben; s. auch C. 41.


154.


In dem bestimmten Hinweis auf die privolvane Mondhemisphäre offenbart Kepler einen feinen psychologischen Sinn. Nicht als ob er sich von vornherein sichern möchte gegen die möglichen Angriffe späterer Forscher wählt er eine Gegend, die zu schauen keinem Sterblichen je vergönnt sein wird, sondern er will damit sagen: sieht einmal das Auge nichts, so kann es der Phantasie gleich sein, ob die Stätte, mit der sie sich beschäftigt, für das Auge überhaupt nicht vorhanden ist, oder ob nur die physische Beschaffenheit desselben nicht hinreicht, sie zu schauen.

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Das ‚Selenitide‘ des Originals von 1634.
  2. s. auch Jul. Schmidt, ‚Der Mond‘. S. 8.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_168.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)