Seite:Keplers Traum 179.jpg

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suchen. Man hat dafür nur die Erklärung, dass der Glaube an dem Vorhandensein von Luft und Wasser auf dem Monde zu damaliger Zeit ein so fest eingewurzeltes Dogma war, dass selbst ein Geist wie Kepler sich nicht ohne Weiteres darüber hinweg zu setzen vermochte, wie denn dieser Glaubenssatz noch bis fast zum Ende des XVIII. Jahrhunderts Stand gehalten hat. Hinzu kommt Keplers schon oft erwähnte Bescheidenheit, die er, nicht alle Mal zum Vortheil seiner Forschungen, gegen ältere Gelehrte übte; Mästlin war sein von ihm verehrter Lehrer und in noch manchen anderen Dingen hat er dessen Autorität gelten lassen. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass Kepler sich von gewissen Gebilden auf dem Monde überzeugt zu haben glaubte, die nach seiner Meinung nur die Werke vernunftbegabter Wesen sein konnten [s. Appendix N. [1]] und dass er dies als einen indirekten Beweis für das Vorhandensein einer Mondatmosphäre ansehen konnte, insofern, als er sich das physische Leben seiner Endymioniden nicht ohne diesen unentbehrlichen Stoff denken mochte.

Die Beobachtungen Mästlins, welche seinen Beweisen zu Grunde liegen, sind ohne Hülfe des Fernrohrs mit blossem Auge gemacht[UE 1] und auch für die späteren Nachprüfungen standen noch so unvollkommene Instrumente zur Verfügung, dass dadurch manche Unrichtigkeiten der Erscheinungen wohl erklärlich sind, selbst wenn man von einer Trübung des Urtheils aus der Selbsttäuschung durch vorgefasste Meinungen absieht.

Gleich die erste Angabe, ‚dass der Mond bisweilen an demselben Tage und zwar früh morgens als alt und abends als neu erscheint, zu einer Zeit also, wo er nicht mehr als 6–7° von der Sonne entfernt sein kann‘, worauf Mästlin seine Deduktion stützt, giebt zu Bedenken Veranlassung. Mir ist die Sache neu, allein für absolut unmöglich möchte ich es nicht erklären, dass Jemandem, der über ein ausserordentliches Sehvermögen verfügt, eine solche Doppelbeobachtung am nämlichen Tage gelingen könnte, wenn ausserdem noch ganz besonders günstige Umstände, als Stellung des Mondes in der Nähe seiner Knoten, sehr klare Luft am Horizont u. s. w., sich dabei vereinigen. Dem gegenüber haben wir in C. 105 gesehen, dass der Mond bei seinem Wechsel ca. 3–4 Tage unsichtbar bleibt; unter der Annahme, dass er sich pro Tag ca. 11° von der Sonne entfernt, würde er also in den Sonnenstrahlen verschwinden, resp. wieder daraus hervortauchen, wenn er ca. 16,5 bis 22° [11 + 5,5 bis 11 + 11], im Mittel 19,25°, je zu beiden Seiten der Sonne steht,

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er Hohlgläser [Perspicilla] angewandt hat, wenigstens hat Kästner [s. s. Geschichte der Mathematik IV, S. 75 u. 272] nachgewiesen, dass Kepler solche Gläser, vor Erfindung des Fernrohrs, gebraucht hat.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_179.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)