„Dann – dann? Ja, er hatte diesen Schönheitsappetit; aber sich selber schön machen, sich für mich ein wenig Mühe geben, das konnte er nicht, ebensowenig, wie er seinem Pudding gefallen wollte. Er wollte so ’n Raffinierter sein, aber ich weiß nicht, es klebte an ihm doch etwas von ärmlichen Bierstuben mit Papierservietten und unreinlichen Kellnerinnen.“
„Und dann?“ forschte Günther.
Mareile lächelte mitleidig einem fernen Bilde zu. „In Venedig war’s. Ein grauer Morgen. Alles grau, der Himmel und das Wasser. Ich stand am Fenster und schaute hinaus. Mir war zumute wie als Kind, wenn Beate und die anderen ausgefahren waren und ich war nicht mitgenommen worden. Da rief Hans aus dem Nebenzimmer: ‚Mareile, Mareile.‘ Du weißt, er schnarrt das r so häßlich. Das klang wie: ‚Her – her zu mir – meine Sache – meine Speise – mein Imbiß – ich habe Appetit.‘ Da wußte ich es, daß ich ihn nicht mehr ertragen würde.“ Sie begann, langsam die Rose, mit der sie spielte, zu zerflücken. Wie Blut rannen die roten Blätter über ihre Finger in ihren Schoß. „Der arme Hans! Gott, wie wurde er häßlich! Hungrige können so häßlich sein. Aber das ist vorüber.“ Sie stand auf. Die Rosenblätter regneten von ihrem Schoß an ihren Gliedern nieder. Sie setzte sich zu Günther, strich mit der Hand über seine Brust, ließ sie auf seinem Herzen ruhen. „Sprich du jetzt,“ sagte sie.
„Von dir,“ murmelte Günther wie im Traum. „Von dir könnte ich eine Ewigkeit sprechen. Dich fühle ich ganz … Betty Halm, die ist ein Hauskleid – und Beate ist ein Sonntagskleid – du bist anders – Ihr – dein Geschlecht
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/105&oldid=- (Version vom 1.8.2018)