den armen Halm quälte und dann Hans Berkow – und jetzt Günther. Alle mußte sie haben.“ An Günther dachte Beate nicht, nur an Mareile, die sie betrogen, an Mareile, die sie gekränkt, an Mareile, die sie erniedrigt hatte. Was wagte diese Inspektorstochter? Ein Dienstbote mit Dienstbotenheimlichkeiten! Dabei schritt sie eilig vorwärts. Sie mußte jenen nach. Jetzt war sie im Walde. Über ihr rauschten Wipfel. Ein Häher stieß einen Ruf aus, als schrie er durch den Wald: „Sie kommt.“ Da war die große Linie des Wildparkes, an deren Ende, mitten im grellblauen Wasser, die Türkenbude stand. Günther und Mareile waren fort. Beate blieb stehen. Eine plötzliche Erschlaffung kam über sie. Etwas raschelte neben ihr am Haselnußstrauch. „O Gott! Nur jetzt kein Mensch!“ fuhr es Beate durch den Sinn, und sie errötete, als würde sie auf einer schlechten Tat ertappt. Unter dem Strauch am Boden hockte Eve Mankow. Das rote Haar flimmerte in der Sonne und hing wirr auf das breite, erhitzte Gesicht nieder. „Natürlich,“ dachte Beate, „die muß auch da sein. Die gehört ja auch zu dem Entsetzlichen, das ich erlebe.“ Eve streckte die Hand aus, eine kurze, braune Hand, wie Beate deutlich bemerkte, an der die harte Haut glänzte. Sie wies auf das Häuschen im Teich. „Da,“ sagte Eve kläglich, „da drin sind sie. Da sind sie immer. Ich weiß. Ich warte jeden Morgen hier.“ Beatens Blicke ruhten einen Augenblick auf dem Häuschen, in dessen Fenster ein verblichener, roter Vorhang wehte, dann kam eine große Angst über sie, Angst vor dem kauernden Mädchen, vor dem Häuschen mit seinem verhangenen Fenster. „O Gott! nur fort!“ Sie wandte sich und lief den Waldweg hinab. Erst
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/115&oldid=- (Version vom 1.8.2018)