Die Nachtstunden verrannen. Die Straße war verstummt. Die Uhren schlugen durch das stille Haus. Es mochte vier Uhr sein, als Günther wieder zu trinken verlangte. Mareile bediente ihn. Günther sagte etwas, Mareile verstand ihn nicht. „Was sagst du, Liebster?“ mußte sie fragen; da wiederholte er es ungeduldig: „Ist Beate noch nicht da? Warum kommt sie nicht?“ Da Mareile nicht antwortete, ließ er mutlos und enttäuscht seinen Kopf zurücksinken und schloß die Augen. Als der Morgen über den Dächern zu grauen begann, stahl Mareile sich lautlos aus dem Krankenzimmer. Was half es ihr? Nahm der Tod ihn nicht von ihr, so tat es das Leben; sie mußte der anderen Platz machen.
Beate saß unterdessen im Wagen des Zuges, der sie nach Berlin brachte. Es war heiß und beklommen darin. Hinter den befrorenen Fensterscheiben stand eine schwarze Nacht, in welche die Lokomotive ihre Wolken goldener Funken hinauswarf. Zwei ältliche Damen im Coupé sprachen von einer Bertha, einem Schwiegersohn, der eine Emilie nicht verstand.
Gleich nach Empfang des Telegramms, das Günthers Verwundung meldete, war Beate abgereist. Günther war krank – sie mußte zu ihm, das war klar und selbstverständlich; hier brauchte Beate nur mit Mitleid und Pflicht zu rechnen, und das verstand sie. Jetzt, in der Stille dieser Nachtfahrt aber, wagten sich seltsame Gedanken hervor. Sie waren schlecht, und Beate fürchtete sich vor ihnen – allein, sie waren da und gehörten zu ihr. Stirbt Günther, dann – ja dann war ihr Leben wieder verständlich und klar. Wents
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/137&oldid=- (Version vom 1.8.2018)