die sich über die große Stadt breitete, gefiel ihr, so wollte sie es, kühl und rein; verwischen und verdecken. Mädchenträume von Liebe und Glück, einst beunruhigend wie Frühlingsnächte, schienen jetzt sehr fern. Sie wollte sichere, reine Wege, wollte die Luft, die zu atmen sie gewohnt war.
Als nach einigen Wochen das Ehepaar Tarniff von der Kaltiner Station nach dem Schlosse fuhr und die erleuchteten Fenster zwischen den verschneiten Bäumen in der Winterdämmerung ihnen entgegenleuchteten, da war es Beate, als hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die mühevolle Stimme der Sterbenden, die die Worte eintönig und langsam sich folgen läßt, als spräche sie mit jemandem, der weit fort ist. „Warten – warten – sie kommen zurück.“ So war es. Er war gekommen, wund, vom Leben besudelt und gebrochen.
Es war Frühling geworden. Günther saß in seinem Zimmer am Fenster und schaute hinaus. Er war müde. Die Frühlingsluft griff seinen geschwächten Körper an. Die nassen Wege blitzten in der Sonne. Der Teich glitzerte hartblau. Die Enten trieben sich auf dem Hof umher und freuten sich, daß die ganze Welt ein Tümpel war. Das interessierte Günther alles. Ein angenehmes Herren- und Eigentumsgefühl stieg von diesem Hofe zu ihm auf. Es war, als schnatterten die Enten im Chor: „Dein – dein.“
Peter kam und überreichte einen Brief. „Ein Junge aus Lantin hat ihn gebracht. Er wartet auf Antwort.“
Gleichgültig öffnete Günther den Brief, dann nahm sein Gesicht einen erschrockenen, gequälten Ausdruck an.
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/139&oldid=- (Version vom 1.8.2018)