Eve schüttelte sich, so daß die Birkenzweige um ihren Hut schwankten.
Die Dämmerung war vollends auf den Wald herabgesunken. Die Nebel stiegen aus den Wassern auf und spannen sich langsam über die Wiesen hin. „Gute Nacht,“ sagte Eve leise und verschwand in den schwarzen Büschen. Mareile sann lange noch in die Dunkelheit hinein, bis alles um sie her wunderlich gespenstisch und unwirklich schien – ihr Leben – das Schloß – Günther – sie selbst. Ein Fiebertraum mit grellen Bildern, die ihr weh taten – und dann sah sie wieder die rote Eve im Mondschein in das schwarze Wasser steigen. Mareile begann sich zu fürchten.
Es war schon Nacht, als Mareile das Parkhaus verließ. Große Sterne hingen in den wirren Schöpfen der Föhren. Der Wald rauschte gleichmäßig und sachte, daß es wie der Atem eines starken, schlafenden Lebens klang. Mareile blieb stehen und lehnte sich an eine Tanne, drückte ihre Wange an den Stamm, der kühl war und nach Harz duftete. Dort am Ende der langen Waldlinie, ganz fern, lag Schloß Lantin mit seinen erleuchteten Fenstern, ein kleines, blankes Spielzeug, in all der ruhigen Dunkelheit. „Sterben, das versteh ich nicht“ – hatte Eve gesagt. Nein, sterben, das verstand auch Mareile nicht, und noch um die dort. O nein! Und sie erhob ihre kleine, festgeballte Faust drohend gegen das blanke Spielzeug dort unten in der Ferne.
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/144&oldid=- (Version vom 1.8.2018)