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Beate schwieg. Sie empfand Mitleid mit dem weinenden Mädchen. Mein Gott! die Welt ist so voll Sünde und Elend; aber sie empfand auch Groll gegen Amélie. Was hatte sie ihre unreinliche Liebesgeschichte hier zu ihr, Beate, hereinzutragen! „Stecken Sie das Licht an!“ befahl Beate. Als die Lampe brannte und Beate vor dem Spiegel saß, machte Amélie sich daran, ihre Herrin zu frisieren. Sobald Beate jedoch die Hände des Mädchens in ihren Haaren spürte, bog sie den Kopf zur Seite, wie von Ekel erfaßt.

„Lassen Sie,“ sagte sie hastig. „Ich mach’ das selbst. Gehn Sie hinaus, gehn Sie.“

Amélie schlug wieder die Schürze über den Kopf und verließ laut jammernd das Zimmer.


Um die Zeit des Sonnenunterganges saß Beate im Ahnensaal und ruhte. Günther war abwesend. Seneïde, die Arme über der Brust verschränkt, ging im Saale auf und ab, dunkel und schmal in dem roten Lichte.

Peter brachte einen Brief. „Aus dem Dorf, von der Amélie,“ sagte er.

„O – von der!“ meinte Seneïde und zog die Augenbrauen empor. Beate sah den Brief mit Widerwillen an, wie wir ein unangenehmes Insekt anschauen, und schloß dann wieder die Augen.

Später im Wohnzimmer wurde die Lampe angesteckt. Die drei Frauen saßen um den runden Tisch. Die schweren, dunkeln Vorhänge wurden vor die Fenster gezogen, die alten dunkeln Türen geschlossen. Wieder einmal schien die Außenwelt mit ihrer Unreinlichkeit und Feindseligkeit ausgesperrt

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Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/67&oldid=- (Version vom 1.8.2018)