ich liebe dich!‘ na, dann würde ich vielleicht verstehen, was Sie meinen – so – so – die Liebe als Morphium.“
„Aber das tu ich,“ sagte Mareile eindringlich. „Das ‚ich liebe dich‘ spreche ich Tag und Nacht. Hören Sie es denn nicht?“
Drinnen, im Gartensaal, wurde zur Abendandacht gerufen. An der Türe standen schon die Mägde mit erhitzten Backen, die Stirnlöckchen voller Lindenblüten, die Kleider verschoben und voller Geißblattduft und Tau. Tante Seneïde las die Andacht, dann wünschte man sich freundlich „Gute Nacht“. Ein jedes stellte sein Leben, eine wohlgeordnete, reinliche Sache, für die Nacht beiseite, sicher, es den nächsten Morgen unverändert, reinlich und nett, wieder hervorholen zu können.
In dem engen Bette der Ziepeschen Logierstube verbrachte Mareile jetzt seltsam erregte Nächte, voll wacher Träume. Die nackten Arme unter dem Kopf verschränkt, starrte sie mit weit offenen Augen vor sich hin. Das Fensterkreuz schnitt den Himmel in enge Vierecke voll schwarzer Nacht oder voller Sterne, oder es ging ein Regen nieder, eine erfrischende, tröstende Musik. Und Mareilens Gedanken, ihr Fühlen nahmen eine köstliche Eintönigkeit an. Immer wieder das feste an ihn Gebundensein, und jeder Nerv ihres Körpers nahm an diesem Gedanken Anteil. „Er und ich. Er und ich.“ Sie spürte es, wie er dort drüben im Schloß nach ihr verlangte, wie sie in das Blut des geliebten Mannes ihre Wärme goß. „Er und ich.“ Schön waren diese schlaflosen Nächte mit ihrem einen Gedanken. Wenn die Fensterscheiben
Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/94&oldid=- (Version vom 1.8.2018)