hungrigen Kinder gesättigt, und wäre das auch nicht, du hast
einmal das Versprechen gegeben und mußt du es halten.“ Bei
einbrechender Nacht gieng er auf den Kirchhof und setzte sich auf den
Grabhügel. Es war alles still, nur der Mond schien über die
Grabhügel und manchmal flog eine Eule vorbei und ließ ihre kläglichen
Töne hören. Als die Sonne aufgieng, begab sich der Arme
ungefährdet heim, und ebenso gieng die zweite Nacht ruhig vorüber.
Den Abend des dritten Tags empfand er eine besondere
Angst, es war ihm als stände noch etwas bevor. Als er hinaus
kam, erblickte er an der Mauer des Kirchhofs einen Mann, den er
noch nie gesehen hatte. Er war nicht mehr jung, hatte Narben
im Gesicht und seine Augen blickten scharf und feurig umher. Er
war ganz von einem alten Mantel bedeckt und nur große
Reiterstiefeln waren sichtbar. „Was sucht ihr hier?“ redete ihn der Bauer an, „gruselt euch nicht auf dem einsamen Kirchhof?“ „Ich suche
nichts,“ antwortete er, „aber ich fürchte auch nichts. Ich bin wie
der Junge, der ausgieng das Gruseln zu lernen, und sich vergeblich
bemühte, der aber bekam die Königstochter zur Frau und mit
ihr große Reichthümer, und ich bin immer arm geblieben. Ich bin
nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die Nacht zubringen,
weil ich sonst kein Obdach habe.“ „Wenn ihr keine Furcht
habt,“ sprach der Bauer, „so bleibt bei mir und helft mir dort den
Grabhügel bewachen.“ „Wacht halten ist Sache des Soldaten“
antwortete er, „was uns hier begegnet, Gutes oder Böses, das wollen
wir gemeinschaftlich tragen.“ Der Bauer schlug ein und sie setzten
sich zusammen auf das Grab.
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1850). Göttingen 1850, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1850_II_517.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)