wohl um einen Ton seyn; mich stören an diesem wirklich schönen Portrait nur die beiden Daumen: denn es ist doch sonderbar, daß diese an beiden Händen pünktlich einerlei Stellung gegen den Zeigefinger bilden, obschon die Lage der Hände verschieden ist. –
Julie: Sitzt oder steht denn das junge Frauenzimmer dort in der großen Landschaft? Recht unbequem muß ihre Stellung auf jede Weise seyn, darum steht sie auch wohl so düster und verdrüßlich aus!
Die Dame: Mein Gott, wie ungeschickt hält sie aber die Guitarre, an welche sie eben das Band befestigt! Ihr graues Kleid ist doch auch entsetzlich enge; ein Paar Falten könnte es schon haben! Und der Strohhut, der neben ihr liege, das ist ja eine wahre Mütze! Nein, hier läßt sich nichts für die Toilette profitiren.
Der alte Professor: Darüber wollten wir uns trösten, wenn nur die beiden herabgesenkten Arme nicht so gar fatale Linien bildeten! Sie sind an und für sich nicht hübsch und diese wunderliche Symmetrie der Stellung macht sie gar häßlich. Dabei ist das Fleisch so kalt, daß ich hieran wirklich nicht den Prof. Rösler erkannt hätte.
Julie: Da müssen Sie doch gestehen, daß das lebenwarme Köpfchen daneben, von dem wackern Pochmann ansprechender ist?
Der Kenner: Niemand wird diesem Künstler ein treffliches Colorit absprechen. Dies und die ungemeine technische Fertigkeit, die er besitzt, geben jedem seiner Gemälde einen künstlerischen Werth, wenn auch die höhern dichterischen Foderungen unbefriedigt bleiben. Treffend ähnlich sind auch seine Portraits immer.
Der Dichter: O Julie, kommen Sie hieher! Dies Bildchen wird Sie entzücken! Sehen Sie, welch’ eine ganz neue Bahn unser ehrwürdiger Klengel hier betrat, und mit welchem Glück! Diese kleine Dorfschule gehört doch zu den lebenvollsten Darstellungen, die ich je sah!
Julie: O wie hübsch! – Du armer kleiner Junge, der du hier in der Mitte zur Strafe knieen mußt und so bitterlich weinst! Und ihr kleinen Schelme, die ihr hinter dem Rücken der Spinnmeisterin so allerlei vornehmt! Wie fleißig sind die größern dort um den Schulmeister her; dort hängt auch die alte Violine an der Wand und die Notenblätter und Kalender; der große Kachelofen, die zerbrochnen Fensterscheiben, der Mehlsack auf der Ofenbank, das Mädel seitwärts an dem Waschfaß, die Hauskatze sogar, alles gibt ein treues Bild der Umgebungen dieser ländlichen Kinderwelt.
Der Kenner: Und wie trefflich ist das Ganze in Haltung! Alles in so einen kräftigen Farbenton und so weich und verschmolzen dabei! Das Hauptlicht, welches aus dem Fensterchen mitten im Hintergrunde hereinströmt, würde nicht ganz zugereicht haben. Da wußte der erfahrne Meister ein schmales Streiflicht durch ein Seitenfenster im Vorgrund zu gewinnen; ohne die Wirkung des Totaleindrucks im mindesten zu stören, hellt dies die Reflexe auf, und so bleibt Alles im niedern Stübchen im klaren Dämmerlicht. Welche Mannichfaltigkeit ist in den Stellungen dieser Kinderschaar, und wie wahr und zwanglos sind alle! Wahrlich, dies Bildchen könnte kühn neben einem Mieris seine Stelle behaupten!
Die Dame: Mir gefallen nun die Miniaturen daneben weit besser. Welch’ ein superbes Diadem trägt hier die junge Herzogin von Coburg-Saalfeld, und wie herrlich ist ihr Teint!
Der Kunstfreund: Hier kann ich wieder nicht ganz beistimmen. Wie kann man einem jugendlichen Köpfchen so eine schwerfällige Diamantenlast aufbürden, die nichts als reich ist! Und warum aus dieser unstreitig trefflich gemalten Miniature so einen wunderlichen Accord von Blüthenweiß der Haut, Atlasweiß, Diamantenweiß und Spitzenweiß bilden, daß es ist, als wolle der Künstler uns scherzend weiß machen, Malerei bedürfe der Farbe nicht! Weit schöner, und wirklich ganz ausgezeichnet finde ich das Portrait des regierenden Herzogs, ihres Gemahls, und das des genialen Grassi. An dieser Wahrheit des Colorits und dieser wundervoll zarten Ausführung erkennt man es, daß Prof. Schreuel Grassi’s Schüler war. Auch die beiden lieblichen Copieen nach Grassi theilen jene Verdienste, so viel Vorwürfe auch jeder Zeichner wohl dieser Hygiäa machen wird. Wir haben hier keinen Miniaturmaler, der diesem geschickten Künstler gleich käme.
Der Kenner: Wir wollen aber doch auch das zweite Fenster nicht übersehen. Diese Kreidezeichnung, welche der bescheidne Prof. Krüger nach dem köstlichen kleinen Madonnenbild von Gimigniani auf der königl. Gallerie fertigte, verdient wahrlich Beachtung. Sie ist mit unaussprechlichem Fleiße äußerst zart gearbeitet; es ist sehr Schade, daß sie nicht etwas kräftiger gehalten ist, besonders müßte der Vorhang im Hintergrunde weit dunkler seyn, da würden erst diese schöngezeichneten Gestalten sich herausheben. Möge der Kupferstecher, der danach arbeiten sols, dies nicht versäumen.
Julie: Dies himmlische kleine Bild ist immer mein Liebling gewesen; es erinnert so sehr an die Werke aus Raphaels früher Jugendzeit. – Aber welch’ eine allerliebste Landschaft ist hier in Kupfer gestochen! So viel Kraft und Leben sah ich selten in einem Kupferstich.
Der Kunstfreund: Und selten sah ich dich
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/13&oldid=- (Version vom 12.11.2024)