sie ganz zurückweichen gegen die Hauptgestalten. Dieser Viertelsmeister, der mit bittend gefalteten Händen vor ihnen steht, ist so rührend in seiner schlichten Bürgerlichkeit, und contrastirt mit seiner Demuth und stillen innern Kraft so schön gegen die sich äußernde der Krieger.
Julie: O wie könnt ihr Männer immer nur von diesen Männern sprechen und nicht zuerst die holden, unaussprechlich rührenden Kinder erwähnen! Wie reizend sind die beiden fast zehnjährigen Mädchen, die zwischen dem Viertelmeister und Procopius stehen, mit grünen Zweigen in den Händen, zwei Engelgleiche kleine Lichtgestalten! Die vordere, die wir im Profil sehen, mit den blonden Locken und dem wunderschönen Lila-Gewand, ist doch mit dem süßesten Reiz überhaucht! Ich sah noch nie diese Farbe so als Hauptton im Vorgrund eines Gemäldes angebracht; aber ich finde sie herrlich, und in ihrem eigensten Sinn mit dem zart Rührenden der Scene so ganz übereinstimmend. Die nonnenhaft verhüllte Kleine daneben im weißen Klostergewand, die mit den unschuldigen Augen so still und resignirt aussieht, ist doch ein wahrer Engel!
Der Kenner: Sie fühlen sehr richtig, liebes Fräulein; denn der Künstler dachte sich auch unter diesen beiden lieblichen Gestalten die Schutzengel dieser Kinder, darum umfließt sie höhere Klarheit und ein stiller Schimmer, darum haben sie allein grüne Zweige in den Händen.
Julie: O das ist schön! Wie ausdrucksvoll sind auch die Kinder des Viertelsmeisters! Der reizende Blondkopf, der sich ihm zunächst anschmiegt, das schöne größere Mädchen, welches in so namenloser Angst die Hände ringt, das schüchterne, interessante Kind, welches neugierig und ängstlich zugleich, hinter ihm vorblickt, das braungelockte, welches sich liebend an seine Brust legt! – O ich begreife, wie Bertha keines zurückbehalten konnte, denn welches hätte sie hier vorziehen sollen! – Welche Wahrheit und welcher innig tiefe Ausdruck ist in dem dunkellockigen Kinde, welches im dunkeln Gewand mit darübergeworfnen weißen Sterbekleidchen auf der andern Seite vorn kniet und so flehentlich bittet. – Dieses weiß so ganz, was Alles von dieser Bitte abhängt; ee ist nicht eben schön zu nennen, aber es spricht zur Seele; ich möchte weinen, wenn ich es recht ansehe. Wie rührend contrastirt dagegen der kleine Knabe mit den schönen weißblonden Locken in dem kurzen Sterbekleidchen, der dicht dahinter steht! Er ist so gar kindlich naiv; seine ganze Stellung spricht dies aus. Die bloßen Beinchen stehen so gerad und dicht neben einander; mit den Händchen zeigt er auf sich, als sagte er: „bin auch da!“ Innig liebevoll umfaßt ihn sein ängstliches Brüderchen. Dahinter dies zarte kleine Mädchen in weißer Nonnentracht, gibt sich wie ein schuldloses Lämmchen hin; fromm und schüchtern scheint die holde Kleine schon vor den rohen Blicken der wilden Schaar fast zu vergehen, und senkt bebend ihre Augen. Recht lieb sind alle die Kleinen, die man Reihenweise seitwärts sieht; nur über den hübschen närrischen Jungen vorne muß ich lachen. Der steht mit seinem tüchtigen, dunkelgrünen Wamms und seinen Stiefeln gar fremdartig unter der zarten weiß, gekleideten Kinderschaar, wo alle übrigen bloße Füßchen haben. Er faltet zwar seine Händchen auch bittend, aber ich weite darauf, ihm macht das Soldatenwesen Freude und er zöge selbst lieber mit den Hussiten!
Der Krittler: Ja, der kam nun wohl auch nur deshalb zur grünen Jacke, weil der Künstler eine dunklere Gestalt in dem Vorgrunde brauchte! Indeß, so etwas übersieht man schon! Was ich aber nicht übersehen kann, und worüber wohl Fräulein Julie nur aus Zartgefühl schwieg, das ist der fatale kleine Junge, der hier zwischen den andern auf dem Rasen sitzt und sich einen Dorn aus dem Fuße zieht; seine Stellung ist unangenehm. Es gehörte freilich hier ein kleineres Kind hin, das fühlte der Meister, er hätte es aber anders machen sollen! Der zusammengepreßte Junge ist mir ein störender Fleck in dem braven Gemälde. Etwas ausgeführter und gerundeter könnte wohl auch diese ganze Seite des Bildes seyn, um mit der andern, kräftigern in Harmonie zu treten.
Der Kenner: Man versichert, der Künstler werde diese Ausführung noch hinzufügen, er habt das wahrhaft große Werk nur noch nicht ganz beenden können. Die Anordnung der Farben gefällt mir ungemein darin. Es war eine schwierige Aufgabe mit den vielen weißgekleideten Kindern; er löste sie trefflich, nichts ist weder monoton noch störend. Der dunkelglühende Purpur des kurzen Mantels, den Procopius über seinen schweren Wappenrock geworfen hat, macht den wahren Farbenkern des Ganzen. Einen schönen, sanften Accord bildet die über seinem Haupte hinwehende Hussitenfahne, mit eingesticktem Kelch und Hostie in ihrer blaßröthlichen Farbe mit dem schräg über befindlichen hellem Lilagewand. Die Beleuchtung ist so genommen, als ob die Sonne seitwärts schon etwas tief stände; der Himmel ist sehr düster; nur ein Sonnenblick beleuchtet das Ganze.
Der Dichter: Wie bedeutend ist dies und der zart angedeutete doppelte Regenbogen, der sich im Hintergrunde über die gute Stadt Naumburg hinwölbt!
Julie: Ich hätte doch selbst Vertrauen zu diesem Procopius, so drohend auch seine Rechte das
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/16&oldid=- (Version vom 12.11.2024)