Julie: Lieber Vater, zu diesem Bilde führe mich einmal recht spät Abends, wenn die sinkende Sonne golden leuchtet, wenn wir beide ganz allein davor stehen! Dann wird es mir erst wohl werden dabei. Jetzt ist mir das Herz so voll, und ich möchte weinen; aber es ist nicht Schmerz – die Worte sind so arm! – Recht schön ist wohl auch dieser Christuskopf desselben Meisters; ich verstehe ihn nur nicht ganz. Sag mir nur, warum er, von dem alles Licht kam, in so tiefes Dunkel gehüllt ist? Warum diese Stirn mich immer unwillkürlich an einen jugendlichen Jupiter erinnert, und warum mir stets das Verhältniß von Kinn und Bart im Vergleich mit der obern Hälfte des Kopfes so klein vorkommt? Das liegt gewiß nur an mir!
Der Kunstfreund: Wohl nicht ganz an Dir allein, mein Kind! Indeß betrachte ihn nur oft und aufmerksam, da wird er Dir lieber werden. Er ist mit seltnem Fleiß ausgeführt. Doch sieh, warum stampft unser Professor dort so mit dem Fuße? Was ärgert ihn nur?
Der alte Professor: Ey, Gott besser’s! Das wird ja heut zu Tag immer toller! Seh man einmal das Kreuz im Walde, von dem genialen Kopf, dem Friedrich! Ist das Natur? Ist das Wahrheit? Wenn haben sich denn jemals die Wolken so symmetrisch arrangirt, rechts gerade wie links! Und die Baume all’ dazu!
Der Dichter: Entzückend schön ist es aber doch, dies hohe ernste schwarze Kreuz mit den Dornen umwunden, welches mitten auf dem steilen Felsblocke emporragt, von schlanken Tannen und Fichten umgeben. Die wundersame, Glorienartige Klarheit des Himmels darüber, das tiefe, und doch so durchsichtige Dunkel, welches sich über alles Irdische ergießt, die rundgewölbte Form des ganzen Gemäldes, alles zieht mich zauberisch an! Ich möchte das Gefühl, welches es erweckt, fast musikalisch nennen; aber es ist keine Composition; es ist das Wehen des Abendwindes durch die volltönende Aeolsharfe! –
Julie: Still, still, lieber Schwärmer, Sie vertreiben sonst unsere Begleiter noch ganz, und setzen sich selbst in übeln Credit. Mein kleiner Liebling hier, das niedliche Seestückchen von Friedrich findet vielleicht selbst vor strengern Augen Gnade. Ist es nicht eine wahre kleine Romanze? Die See schimmert und funkelt; das Schiff entflieht; das Mädchen sitzt auf der Mitte des Rasenhügels am Ufer, und weht mit dem Tuche ein Lebewohl nach. Das kleine Bildchen ist so überaus einfach und doch so lieb.
Der Kenner: Es hat auch das Verdienst, daß die Töne von See und Luft, von Nebelformen und Wellengeflimmer täuschend wahr aufgefaßt sind.
Der Kunstfreund: Hier hängen ja recht die Werke der seelenverwandten Künstler beisammen! Seht doch diesen Luther des wackern, einfachen, sinnigen Veit Hanns Schnorr in Leipzig. Dies Bild hat mehr Kraft, als ich an allen frühern Werken dieses Künstlers fand, und ist mit tiefer historischer Wahrheit aufgegriffen. Auf dem starren unerschütterlichen Granitfelsen, den keine Blume, kein Gräschen umspielt, steht im geradlinigen, schwarzen Talar der Luther und betet mit gefalteten Händen; der Himmel über ihm ist so hell und klar, aber nördlich kalt, ohne Schimmer, ohne Wolkenpracht. Und doch ist der Luther so warm und innig in seiner Frömmigkeit, und meint es recht treu damit, das fühlt man! Unser Professor schüttelt wieder den Kopf; aber mag es als Gemälde noch so sonderbar seyn, bedeutend und durchdacht ist dies kleine Bild gewiß, und ganz seinem Geiste gemäß ausgeführt.
Der alte Professor: Ja, ja, der Luther ist in der Welt mit seinem Kopf durch vieles durchgefahren, nun gar am Ende durch den Felsen noch! Nur Schade daß die Beine sind drin stecken geblieben! –
Die Dame: Das Kind, was da oben hängt, sollte diesen Sommer nur recht fleißig baden, es hat eine kränklich gedunsene Farbe, und sieht so altklug aus!
Der Kunstfreund: Doch ist es ähnlich und recht brav gemalt von dem geschickten Prof. Rösler. Die Nebendinge sind auch recht gut in Haltung, und sorgfältig ausgeführt. Das männliche Portrait desselben Meisters ist treffend und wahr gemalt.
Die Dame: Aber, mein Gott, die dicke Dame hier läßt ja ihr armes Kind ganz vom Schoos fallen, so sehr schaut sie auf uns!
Der Kenner: Dies Heruntergleiten des Kindes hat mir bei diesem Portrait, welches Prof. Matthäi malte, schon längst weh gethan. Das Köpfchen des Kindes ist herrlich; aber die übrige Stellung thut nicht wohl. Die Mutter ist mit diesem dunkelgrünen Gewand und purpurnem Shawl schön geschmückt, gut beleuchtet und gemalt; nur das unmütterlich Sorglose stört. Dies Bild gefällt mir indeß immer besser, als das andere desselben Meisters.
Der Dichter: Was, dies soll eine Sappho seyn? Mit dieser kalten, festen Ruhe, dieser welken Farbe? Diese scharfgeschloßnen Lippen sollen je von süßen Liedern übergeströmt seyn! Wahrlich, hier wird niemand dem Phaon zürnen!
Die Dame: Das Kleid mit den kurzen flatternden Spitzenermeln ist doch recht hübsch gemacht; wenn ich nur wüßte ob es weiß oder grau wäre?
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/7&oldid=- (Version vom 10.11.2024)