Julie: O kommen Sie, lieber Vater! Diese Landschaften unsers biedern, fleißigen Klengels muß man nicht so flüchtig betrachten; man muß sie genießen! Mir wird bei ihnen so heiter und wohl, wie in der Natur selbst, aus der sie treu gegriffen sind. Sehen Sie diese ganze Reihe kleiner Landschaften, jede in reizender Eigenthümlichkeit! Diese beiden, ein Morgen und ein Abend in Italien, in reiner Klarheit und zartem, rötlichschimmernden Duft: wie dort der Maulthiertreiber hinaus eilt in unermeßne Ferne, während sich vorn die kleine Heerde am kühlen Quell labt; hier das heimgekehrte Schiff in der fernen freundlichen Bucht ruht, und im Vorgrund neben dem Felsblock die Heerde schattigere Kühle sucht! Und hier, die drei noch kleinern heimischen Gegenden sind doch in ihrer Einfachheit so gar lieblich! Hier der ländliche Steg über den raschen Bach, über welchen eben das Landmädchen mit dem Korbe Heu auf dem Rücken, herüber kam, – wie frisch, wie lebendig ist die ganze Gegend, so wahr daß man glaubt jedes Bäumchen zu kennen! Darüber auf der andern kleinen Heimathsgegend mit dem so zart flockigen und duftigen Himmel, begegnet uns das niedliche kleine Mädchen wieder, neben dem im Gras liegenden Bruder stehend, der die Heerde hütet und sich eben nach einem sich verirrenden Lämmchen umsieht; Alles ist in ganz kleinem Maaßstab, so leicht hingeworfen, und doch so treu der Natur abgelauscht! Mein wahrer Liebling ist aber die dritte dieser kleinen Landschaften, mit dem graulich umzognen, schwülen Himmel, wo sich der steile Bergpfad so staubig hinaufzieht. Die mühsam erklimmte ihn der Wanderer, der sich jetzt eben für unsere Blicke in der Ferne verliert! Und hier unten, wo man tief im Gesträuch das einfache alte Thor sieht, da bäumt sich scheu das edle weiße Roß und sein Führer hat Mühe, es aus der Bergschlucht heraus zu bringen; ich könnte mir ganze Geschichten zu dem anmuthigen Bildchen hinzu träumen! –
Der Dichter: Ich gestehe es Ihnen, Julie, bei diesen Kleinigkeiten müssen Sie die Dolmetscherin der Natur seyn, wie Sie mir es so oft auf Spaziergängen werden, wenn ich so viel darin finden soll, wie Ihr zarter Natursinn heraus empfindet. Aber sehen Sie diese große Landschaft desselben Meisters, wie trefflich ist diese gedacht und ausgeführt! Ein mächtiger Hauch überströmt das Ganze und bewirkt einen ergreifenden Totaleindruck. Ein starkes Gewitter zog vorüber; links ist der Himmel noch tief umwölkt, rechts fängt das reine Blau wieder im sichtbar zu werden; die Bäume sind noch gebeugt von Regen und Sturm! Dieser war heftig; denn hier liegen große Aeste, die er abbrach, deren Laub eben anfängt herbstlich zu erglühen. Wie rührend und vielsagend ist der durch frühern Wetterstrahl getroffne, völlig abgestorbne Baum vorn, den der dunkle, üppig wuchernde Epheu umrankt und umgrünt, ihm zum Lohn der Stützung ein heiteres Hoffnungsgewand leihend. Sanft zieht sich die Anhöhe hinauf, und oben, nach dem reinen Himmelblau hinwärts geöffnet steht noch die alte, halb verfallne Kirchhofpforte; neben ihr senkt sich der schöne Regenbogen nieder,
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/9&oldid=- (Version vom 10.11.2024)