Seite:Landstreicherleben 053.jpg

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Diese Szene hatte den ganzen Stadtteil in Aufruhr gebracht. Die meisten Nachbarn, die an die Fenster gesprungen waren, hatten gesehen, wie ich den Täter packte. In ihren Augen war er der Tat überführt. Es fehlte also nicht an Zeugen, wenn ich hätte Scheidung beantragen und durchsetzen wollen; und ich nahm mir auch vor, das zu tun. Aber die Familie meiner keuschen Gattin, die sehr darauf hielt, das Ansehen ihrer Würde zu wahren, ging sofort drauf los, alle meine Schritte zu vereiteln oder sie zum mindesten zu verzögern. Am folgenden Tag, ehe ich noch den Adjutantmajor hatte zu Gesicht bekommen können, wurde ich von Polizisten und Gendarmen festgenommen, die schon davon sprachen, mich ins Gefängnis abzuführen. Zum Glück für mich hatte ich schon Sicherheitsmaßregeln ergriffen, und ich wußte ganz genau, daß meine Situation nichts Beunruhigendes hatte. Ich verlangte vor Joseph Lebon geführt zu werden. Das konnte man mir nicht abschlagen. Als ich vor dem Volksvertreter erschien, fand ich ihn wühlend in einem riesigen Stoß von Briefen und Papieren. „Du bist es also,“ sagte er zu mir, „der hier ohne Erlaubnis herkommt … und noch dazu, um deine Frau zu mißhandeln! …“ Ich übersah sofort, was ich zu antworten hatte. Ich wies meine Order vor; ich berief mich auf das Zeugnis aller Nachbarn meiner Frau und sogar auf das des Adjutantmajors selbst, der nicht leugnen konnte. Schließlich hatte ich meine Angelegenheit so klar auseinandergesetzt, daß Joseph Lebon gezwungen wurde, zuzugestehen, das Unrecht liege nicht auf meiner Seite. Aus Rücksicht für seinen Freund Chevalier forderte er mich jedoch auf, nicht länger in Arras zu bleiben. Und da ich fürchtete, der Wind möchte sich drehen – davon hatte ich schon viele Beispiele gehabt – so nahm ich mir vor, dieser Weisung so schnell als möglich nachzukommen. Nachdem ich meinen Auftrag erfüllt hatte, nahm ich Abschied von jedermann, und am anderen Morgen bei Tagesanbruch befand ich mich auf dem Wege nach Tournai.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_053.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)