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ihm, ich mache einen Spaziergang im Hofe; er will sich selbst davon überzeugen, sucht mich umsonst, schreit in jedem Winkel des Hauses nach mir, bekommt aber keine Antwort. Eine offizielle Haussuchung hatte auch nicht mehr Erfolg. Kein Gefangener hatte mich gesehen. Man mußte bald annehmen, daß ich mich nicht mehr im Gefängnis befand, aber wo war ich geblieben. Niemand wußte es, nicht einmal Francine, die mit der größten Unbefangenheit von der Welt erklärte, sie wisse nicht, wo ich stecke, denn sie habe mir das Band gebracht, ohne zu ahnen, zu welchem Zwecke ich es gebrauchte. Sie wurde trotzdem in Haft genommen, aber diese Maßregel nützte nichts; die Soldaten, die mich herausgelassen hatten, hüteten sich wohl, sich ihrer Heldentat zu rühmen.

Unterdessen verließ ich die Stadt und gelangte nach Courtrai. Da nahmen mich der Taschenspieler Oliver und der Seiltänzer Devoye in ihre Truppe auf, und ich spielte in der Pantomime mit. Da traf ich auch einige entsprungen Sträflinge wieder: ihre auffallende Kleidung, die sie immer trugen, aus dem einfachen Grunde, weil sie keine andere besaßen, diente großartig dazu, die Polizei auf ihre Spur zu lenken. Von Courtrai gingen wir nach Gent und von da zogen wir zur Messe nach Enghien. In Enghien waren wir schon den fünften Tag, und die Einnahme, die auf meinen Teil fiel, war reichlich, – da wurde ich eines Abends, in dem Moment, als ich die Bühne betreten wollte, von Polizeiagenten verhaftet: der Hanswurst der Truppe hatte mich aus Neid denunziert.

Man brachte mich wieder nach Lille, und dort erfuhr ich zu meinem lebhaften Bedauern, daß die arme Francine zu einem halben Jahre Gefängnis verurteilt worden war wegen Beihilfe zur Flucht. Der Schließer Baptist, dessen ganzes Verbrechen darin bestand, daß er mich für einen höheren Offizier gehalten und mich respektvoll aus dem Tor herausgehen hatte lassen, – der unglückliche Baptist wurde wegen des gleichen Verbrechens ebenfalls eingelocht.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_108.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)