Seite:Landstreicherleben 128.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

verhindern: man reißt zum Beispiel an den Hüten die Krempe ab, an den Röcken den Kragen. Kein Arrestant darf mehr als sechs Franken bei sich behalten, was diese Summe übersteigt, wird dem Hauptmann übergeben, der es unterwegs nach Maßgabe des Bedürfnisses auszahlt. Diese Maßnahme wird jedoch leicht hinfällig gmeacht, indem man die Schuhabsätze aushöhlt und Goldstücke darin versteckt.

In der Mitte des großen Hofes stand eine Holzkiste mit den Ketten, die nacheinander bei allen Transporten dienten. Man ließ uns, immer zwei und zwei, herantreten; die gleichgroßen wurden zueinander gestellt, dann reihte man je sechsundzwanzig Sträflinge vermittels einer Sechs Fuß langen Kette zu einem „Zug“ zusammen; – auf diese Weise konnte man sich in Gemeinschaft mit allen zugleich regen und bewegen. Jeder wurde an der Kette durch eine „Halsbinde“ festgehalten, das heißt, durch eine Art eisernen Dreiecks, das sich auf einer Seite in einem Scharnier öffnete, an den anderen Seiten fest zusammengeschmiedet wurde. Dieses Zusammenschmieden war der gefährlichste Teil der ganzen Operation: selbst die halsstarrigsten und kräftigsten Sträflinge verhielten sich dabei mäuschenstill, denn bei der geringsten Bewegung konnte der Hammer, der jeden Augenblick den Kopf streifte, den Schädel zerschmettern. – Dann kam ein Sträfling mit einer langen Schere und schnitt uns Kopfhaar und Backenbart: dabei schnitt man es absichtlich auf beiden Seiten ungleich lang.

Von meinen zwei Nachbarn war der eine ein ehemaliger Schulmeister, der wegen Notzucht verurteilt war; der andere ein Wundarzt, der wegen Fälschung eine Strafe abbüßte. Diese beiden zeigten, im Gegensatz zu den anderen, weder Fröhlichkeit noch Niedergeschlagenheit und unterhielten sich im ruhigsten, natürlichsten Ton.

„Wir gehen nach Brest?“ sagte der Lehrer.

„Ja,“ antwortete der Wundarzt, „wir gehen nach Brest …

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_128.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)