Seite:Landstreicherleben 143.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hintergehen, ihren Fortgang zu hemmen oder sie irrezuführen – ist für sie ein Vergnügen, für das man gerne ein paar Wochen Strafarrest mit in den Kauf nimmt. Da es sich in diesem Fall nur darum handelte, in den Karzer zu kommen, so war das Mittel bald gefunden.

Unter den Fenstern des Saales, in dem wir frühstückten, stand eine Schildwache. Nun begannen wir, Brotkügelchen auf sie zu werfen. Als der Soldat mit dem Aufseher drohte, forderten wir ihn auf, sich zu beklagen. Während dieser Verhandlungen wurde die Wache gerade abgelöst. Der Korporal nahm die Sache sehr ernst und ging auf die Kanzlei; einen Augenblick später kam der Aufseher, um uns zu holen; er sagte nicht einmal, um was es sich handelte. Wir erfuhren es erst, als wir in ein Loch traten, das recht feucht, aber doch genügend hell war. Kaum waren wir eingeschlossen, so machte sich mein Kamerad an die Arbeit, die ihm auch vortrefflich gelang. Die Operation bestand einfach darin, daß der Arm von einigen zusammengebundenen Nadeln, die in Tusche und Karmin getaucht waren, durchstochen wurde. Nach Verlauf von zwölf Tagen waren die Stiche genügend vernarbt, so daß sich nicht feststellen ließ, seit wann sie bestanden. Mein Kamerad benutzte außerdem die Gefangenschaft, um mir weitere Details über die Familie Duval mitzuteilen, die er von Kindesbeinen an kannte und mit der er, glaube ich, verwandt war; er ging so weit, daß er mir selbst einen Tick meines Doppelgängers beibrachte.

Diese Einzelheiten leisteten mir einen großen Dienst, denn am sechzehnten Tag unseres Aufenthaltes im Karzer wurde ich abgeholt, um vor meinen „Vater“, den der Rekrutierungskommissar hatte kommen lassen, geführt zu werden. Mein Kamerad hatte mir seine Person so ausgemalt, daß ich mich unmöglich irren konnte. Kaum erblicke ich den alten Duval, so falle ich ihm um den Hals, er „erkennt mich wieder“, seine Frau, die einen Augenblick später erscheint, „erkennt mich wieder“, eine Kusine und ein Onkel „erkennen mich wieder“. Ich bin August

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_143.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)