Seite:Landstreicherleben 151.jpg

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die man leicht erraten wird, kam noch hinzu, daß ich unter den Frauenkleidern ein Männerhemd anhatte, das mein Geschlecht und mein Inkognito wohl enthüllen mußte. Um mich nicht bloßzustellen, löste ich langsam einige Stecknadeln. Als ich sah, daß die Schwestern schon im Bett waren, stürzte ich wie aus Ungeschicklichkeit die Lampe um, die uns leuchtete. Dann entledigte ich mich der Frauenkleider. Ich schlüpfte unter die Decke und legte mich möglichst so hin, daß jede unangenehme Entdeckung ausgeschlossen war.

Die Nacht war grausam, denn Fräulein Jeanne, die bei der leisesten Bewegung mich berühren mußte, war zwar nicht hübsch, aber von einer Frische und Fülle, die für einen Mann, der seit so langem zu äußerster Enthaltsamkeit verurteilt war, nur zu verführerisch waren. Diejenigen, die sich in einer ähnlichen Lage befunden haben, werden mir glauben, daß ich kein Auge zugemacht hatte.

Ich lag regungslos da, mit offenen Augen wie ein Hase in seinem Versteck. Noch lange vor Tagesanbruch hörte ich plötzlich mit Flintenkolben an die Tür schlagen. Mein erster Gedanke war, man habe meine Spur entdeckt und komme, um mich zu verhaften. Ich wußte nicht, wo ich mich verkriechen sollte.

„Wer ist da?“ rief der Hausherr, aus dem Schlafe auffahrend.

„Die Soldaten von gestern.“

„He, was wollt ihr denn?“

„Wir möchten etwas Feuer, um die Pfeifen anzuzünden, bevor wir fortgehen.“

Unser Wirt stand auf, suchte Feuer in der Asche und machte den Soldaten auf. Einer von ihnen sah beim Schein der Lampe auf eine Uhr und sagte:

„Es ist halb fünf … Vorwärts, marsch! Höchste Zeit!“

Er ging auch wirklich; der Wirt blies die Lampe aus und legte sich wieder nieder. Da ich mich vor meinen Schlafgenossinnen

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_151.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)