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Sechzehntes Kapitel


Verkleidungen


Mehrere Gründe, die man leicht erraten kann, erlaubten mir nicht, mich direkt in mein Elternhaus zu begeben. Ich stieg bei einer meiner Tanten ab und erfuhr von ihr, daß mein Vater tot sei. Diese traurige Nachricht wurde mir auch bald von meiner Mutter bestätigt, die mich mit einer Zärtlichkeit aufnahm, die im krassesten Gegensatz zu den schrecklichen Erlebnissen meiner letzten zwei Jahre stand. Sie wünschte nichts sehnsüchtiger als mich bei sich zu behalten; aber ich mußte ja immerfort versteckt bleiben. Ich fügte mich in mein Schicksal, und verließ drei Monate lang das Haus nicht. Aber nach dieser Zeit begann mir die Gefangenschaft lästig zu werden, und ich fing an, bald unter dieser, bald unter jener Verkleidung, auszugehen. Ich glaube auch wirklich nicht erkannt worden zu sein, als sich plötzlich in der Stadt das Gerücht verbreitete, ich wäre da. Die ganze Polizei machte sich auf die Beine, um mich zu verhaften; jeden Augenblick machte man Haussuchungen bei meiner Mutter, aber mein Schlupfwinkel blieb unentdeckt: er war zwar ziemlich groß – zehn Fuß lang und sechs Fuß breit, aber ich hatte ihn so geschickt und versteckt angebracht, daß der spätere Besitzer unseres Hauses beinahe vier Jahre darin wohnte, ohne das Vorhandensein dieses Raumes zu ahnen. Vielleicht hätte er bis heute noch nichts davon gewußt, wenn ich es ihm nicht entdeckt hätte.

Im Vertrauen auf diesen Zufluchtsort nahm ich bald meine Ausflüge wieder auf. Am Fastnachtsdienstag trieb ich meine

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_213.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)