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zum Leugnen Zuflucht nehmen, das einem bequemen Ehemann glauben machen kann, er wisse von nichts.

Früher hätte ein solcher Schimpf die ganze Wucht meines Zornes in mir entflammt … aber wie ändert man sich mit der Zeit! Als ich mich von meinem Unglück überzeugte, setzte ich kalt den Zeitpunkt der Trennung fest, die ich sofort beschloß: Bitten, Flehen, Versprechungen sich zu bessern – nichts konnte mich beugen, ich war unerbittlich … Gewiß hätte ich ihr verzeihen können, sei es auch nur aus Dankbarkeit, aber wer bürgte mir dafür, daß meine Wohltäterin mit einem Rivalen auch wirklich brach? Und mußte ich nicht befürchten, daß sie mich in einem Moment des Sich-Gehenlassens bloßstellte? Wir teilten unsere Waren in zwei gleiche Teile; meine Gefährtin verließ mich, und seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.

Dieser Vorfall, der Aufsehen erregte, verleidete mir meinen Aufenthalt in Rouen, und ich nahm wieder das Metier eines umherziehenden Kaufmanns auf. Meine Geschäftsreisen umfaßten Nantes, Saint-Germain und Versailles, und ich erwarb mir in kurzer Zeit eine ausgezeichnete Kundschaft. Meine Einnahmen wurde so beträchtlich, daß ich mir in Versailles einen Laden mit Wohnung mieten konnte; dort wohnte meine Mutter, während ich auf Reisen war. Meine Führung war über jeden Tadel erhaben; ich war in dem Kreise, in dem ich verkehrte, allgemein geachtet und ich glaubte schon das Schicksal überwunden zu haben, das mich unaufhörlich auf die Bahn der Ehrlosigkeit zurückwarf, der ich mit aller Kraft entweichen wollte. Da – bei der Rückkehr vom Markte von Nantes – wurde ich verhaftet. Es war Verrat von einem Jugendfreund, der sich für Händel, die wir miteinander hatten, rächte. Obwohl ich hartnäckig darauf bestand, ich sei nicht Vidocq, sondern Blondel, wie aus meinem Paß hervorgehe, wurde ich nach Saint-Denis gebracht. An der besonderen Sorgfalt, mit der man mich behandelte, sah ich, daß ich „empfohlen“ war. Ein Blick auf das

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_220.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)