Seite:Landstreicherleben 221.jpg

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Fahndungsblatt bestätigte meine Vermutung; ich war folgendermaßen angezeigt:

„Besondere Aufsicht!

Vidocq (Eugène-François) in contumaciam zum Tode verurteilt. Äußerst gefährliches Individuum.“

Um die Wachsamkeit meiner Wächter rege zu halten, stellte man mich also als großen Verbrecher dar. Von Saint-Denis wurde ich auf einem Karren fortgeschafft, dermaßen geknebelt, daß ich mich nicht rühren konnte; und bis zum Louvre wandte meine Eskorte kein Auge von mir.

Man brachte mich in einem Turm des Louvre unter, der in ein Gefängnis verwandelt war … Alle Versuche zum Ausreißen waren vergeblich, jedes Mittel zur Flucht war abgeschnitten; aber eine Gelegenheit, auf die ich lauerte, stellte sich früher ein, als ich gehofft hatte. Am Tage vor unserer Abreise wurden wir in den Hof geführt; hier herrschte eine große Verwirrung, weil ein neuer Transport von Arrestanten angekommen war, zugleich mit einer Abteilung Rekruten aus den Ardennen, die sich nach Boulogne ins Lager begaben. Die Adjutanten stritten sich mit den Gendarmen über den Platzmangel, denn sie mußten ihre Mannschaften in Reih und Glied aufstellen und Appell blasen lassen. Während jeder seine Leute zählt, gleite ich unbemerkt in den Kasten eines Gepäckwagens, der gerade den Hof verlassen soll … So komme ich durch die Stadt, ganz zusammengekauert und so klein wie nur möglich. Als wir außerhalb der Festungswerke waren, blieb mir nichts übrig, als mich hinauszuschleichen. Dazu benutzte ich den Augenblick, als der Fuhrmann, ewig durstig, wie alle Leute seines Standes, in einer Kneipe einkehrte; während seine Pferde auf ihn warteten, befreite ich seinen Wagen von einer Last, von der er keine Ahnung hatte. Ich versteckte mich zunächst in einem Rapsfeld, und als die Nacht einbrach, fand ich mich weiter zurecht.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_221.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)