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Es gab keinen reichen Boulogner Bürger, der es sich nicht zur Ehre rechnete, eine so vornehme Person in sein Haus zu ziehen. Die ehrgeizigsten Papas wünschten nichts sehnlicher, als ihn zum Schwiegersohn zu haben, und die jungen Mädchen rissen sich um ihn; so hatte er das Privileg auf den Beutel der einen, und die Gefälligkeit der anderen. Er hatte eine eines Obersten würdige Equipage, Hunde, Pferde, Diener: er spielte den großen Herrn und besaß im höchsten Maße die Fähigkeit, den Leuten Sand in die Augen zu streuen und sich wichtig zu tun. Das ging so weit, daß die Offiziere selbst, die sonst auf die Vorrechte der Epauletten so dumm eifersüchtig sind, es ganz natürlich fanden, daß er sie überstrahlte. Anderswo als in Boulogne wäre dieser Abenteurer sicher nur zu bald als Hochstapler entlarvt worden, denn er hatte nicht die geringste Erziehung genossen; aber in einer Stadt wo die neu entstandene Bürgerschaft von der guten Gesellschaft noch nichts als die Kleider besaß, war es leicht, aufzuschneiden.

Der wirkliche Name des Oberquartiermeisters war Fessard, aber im Bagno kannte man ihn nur unter dem Namen Hippolyt. Er stammte, glaube ich, aus der unteren Normandie: mit seinem freimütigen Wesen, einem offenherzigen Gesicht und dem windigen Benehmen eines jungen Wildfangs verband er den boshaften Charakter, den die bösen Zungen den Bewohnern von Domfront nachsagen; er war, mit einem Worte, ein geriebener Junge und verstand es großartig, das Vertrauen seiner Nächsten zu gewinnen. Hätte er einen flecken Land in seiner Heimat besessen, so hätte ihm das Gelegenheit zu tausend Prozessen geboten und er würde sein Glück auf dem Untergang seiner Nachbarn gegründet haben; aber Hippolyt besaß gar nichts, und da er nicht Querulant werden konnte, wurde er Gauner, dann Fälscher, und dann … aber das wird man noch sehen.

Jedesmal, wenn ich nach der Stadt kam, lud mich Hippolyt zum Essen ein. Eines Tages, zwischen Obst und Käse, sagte er zu mir:

„Weißt du, ich bewundere dich eigentlich. Im Lager leben als

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_270.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)