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„Oh, beeilen Sie sich nicht,“ antwortet sie mir, „Sie haben Zeit … Die Leute werden ja bei uns in den Ställen schlafen. Und wenn Sie mit dem Leutnant sprechen wollen, – sein Zimmer liegt gerade neben dem Ihrigen.“

Ich weiß nicht, was in mir bei dieser Nachricht vorging, aber wenn Frau Gelat mich beobachtet hätte, so würde ihr gewiß nicht entgangen sein, wie ich erblaßte und am ganzen Körper zitterte. Der Leutnant Thiérry war also mein Nachbar! Wie leicht konnte er mich wiedererkennen und mich anzeigen! Eine Geste, ein Nichts konnte mich verraten. Ich werde mich schön hüten, mich zu zeigen. Ich motivierte meinen Mangel an Neugier durch die Notwendigkeit, meine Inventuraufnahme zu beenden. Ich verbrachte eine entsetzliche Nacht. Endlich, um vier Uhr morgens, verkündete das Klirren der Eisen die Abreise des höllischen Zuges, – und ich atmete erleichtert auf.

Allmählich begann sich in mir eine gewisse Besorgnis wegen Paquays zu regen, denn ich hatte ja seine Verhaftung veranlaßt. Je mehr ich darüber nachdachte, desto leichtsinniger kam mir meine Handlungsweise vor. Ich ahnte Unheil, und diese Ahnung ging auch in Erfüllung. Paquay wurde zuerst nach Paris transportiert und zum Zwecke einer Konfrontierung wieder nach Auxerre gebracht. Hier erfuhr er, daß ich mich noch in der Stadt befände. Er hatte mich stets im Verdacht gehabt, der Denunziant zu sein und nun nahm er seine Revanche. Er erzählte dem Gefängniswächter alles, was er über mich wußte. Dieser hinterbrachte es der Behörde, aber ich besaß in Auxerre, wo ich schon seit drei Monaten weilte, einen so guten Ruf, daß der betreffende Beamte (ich will seinen Namen verschweigen), um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, mich zu sich bestellte und mich von allem in Kenntnis setzte. Ich brauchte ihm die Wahrheit nicht erst einzugestehen, meine Unruhe verriet ihm alles. Ich hatte nur noch die Kraft, ihm zuzurufen:

„Ach, ich wollte doch so sehr ein ehrlicher Mann werden!“

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_282.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)