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Achtundzwanzigstes Kapitel


Die Pianistin


Es kommt selten vor, daß ein Sträfling dem Gefängnis entspringt mit der Absicht, sich zu bessern; zumeist trachtet er nur danach, die Hauptstadt zu erreichen, und dort die traurige Kunstfertigkeit auszuüben, die er im Bagno erlernt hat, denn die meisten unserer Gefängnisse sind die hohe Schule der Vervollkommnung im Verbrecherhandwerk. Fast alle großen Diebe haben’s zur Meisterschaft gebracht, nachdem sie eine kurze oder längere Zeit auf den Galeeren gelebt haben. Einige wurden fünf- bis sechsmal verurteilt, ehe sie ihr Renommee erlangten, wie zum Beispiel der berühmte Victor Desbois und sein Kamerad Mongenet, genannt Tambour. Beide tauchten mehrmals in Paris auf und begingen hier eine Reihe von Diebstählen, von denen das Volk gern als von tollkühnen und gewagten Kunststücken erzählt.

Diese zwei Menschen gingen seit einigen Jahren jedesmal mit dem Sträflingstrupp ab und brachen immer wieder aus. Jetzt befanden sie sich wieder einmal in Paris. Die Polizei wurde davon benachrichtigt, und ich erhielt den Auftrag, sie aufzuspüren. Alle Anzeichen sprachen dafür, daß sie noch mit anderen, nicht minder gefährlichen Verbrechern in Verbindung standen. Man hatte eine Klavierlehrerin, deren Sohn, Noël, der Brillen-Noël genannt, ein berüchtigter Verbrecher, im Verdacht, die beiden bei sich aufgenommen zu haben.

Frau Noël war eine gebildete Dame. Sie war eine ausgezeichnete

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_343.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)