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Der Blutmord an dem Ober-Tertianer Ernst Winter

zu Konitz am 11. März 1900

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Der Teil von Westpreußen, in dem das Dorf Skurz und die Stadt Konitz liegen, scheint schon seit Jahren zum Abschlachten von Christen ausersehen zu sein. Anders nämlich ist die Thatsache nicht zu erklären, daß in Konitz und Umgegend eine ganze Anzahl junger Christen männlichen und weiblichen Geschlechts in den letzten Jahrzehnten spurlos verschwunden ist.[1] Meistens gehörten die Verschwundenen der ärmeren Bevölkerung des ländlichen und städtischen Arbeiterstandes an. Im Jahre 1900 fiel nun aber ein Sohn des Mittelstandes als Opfer eines solchen geheimnisvollen Mordes.


Der Ober-Tertianer Ernst Winter,

dessen trauriges Geschick ganz Deutschland bewegt, war der Sohn des Bauunternehmers Winter in dem großen Kirchdorfe Prechlau (Kreis Schlochau), etwa 30 Kilometer von der Gymnasialstadt Konitz entfernt. Herr Winter ist ein mäßig bemittelter Mann, der seine sieben Kinder zu ordentlichen Menschen zu machen bemüht ist. Seine Mittel erlauben ihm immer nur einen Sohn außerhalb des Hauses erziehen zu lassen, und deshalb mußte der am 27. September 1881 geborene Ernst Winter so lange im Heimatsdorfe die Schule besuchen, bis sein älterer Bruder Paul das Gymnasium verließ. Im Jahre 1894, in seinem 13. Lebensjahre, kam Ernst Winter in die Sexta des Gymnasiums zu Konitz. In Quarta blieb er ein Jahr sitzen, war dann aber einer der ersten und besten Schüler in der Klasse. Zu Weihnachten 1899 brachte er ein sehr gutes Zeugnis mit nach Hause und hatte auch zu Ostern 1900 ein ebenso gutes zu erwarten. Als Kind bis zu seinem 16. Lebensjahre war er sehr schwächlich gewesen, hatte sich dann aber zu einem kräftigen lebensfrohen Jüngling entwickelt, der überall beliebt war. Er war der beste Turner des ganzen Gymnasiums und von sehr stattlichem Körperbau.

In der Tanzstunde hatte Ernst Winter die Töchter der jüdischen Kaufleute Tuchler und Caspary kennen gelernt. Als er in den Weihnachtsferien 1899/1900 im Elternhause weilte, brachte der

  1. Wir haben nachgeforscht und nur einige solcher Fälle feststellen können. Da uns aber ein für die Justizbehörden leicht erreichbarer und kraft seines Amtes besonders unterrichteter Zeuge genannt worden ist, so haben wir die Worte ,,eine ganze Anzahl" stehen lassen.
Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, Berlin 1901, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p007.png&oldid=- (Version vom 30.7.2017)