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Postbote für ihn zwei Neujahrskarten von den Judenmädchen Caspary und Tuchler. Der Vater nahm die Karten in Empfang und machte seinem Sohne Vorhaltungen über den Verkehr mit den Jüdinnen. Er erinnert sich, dabei gesagt zu haben: ,,Laß doch die Judenmädchen, mein Sohn, heiraten kannst du ja doch keine davon," worauf Ernst Winter erwiderte: ,,Vater, ich habe gar nichts Unrechtes mit den Mädchen vorgehabt, ich habe sie beim Tanzen kennen gelernt, und sie laufen mir förmlich nach!"

Ein als Zeuge vernommener Mitschüler Ernst Winters bekundete, daß bei einem Gespräch über das Schlittschuhlaufen mit den Jüdinnen Ernst Winter zu ihm sagte: ,,Ich muß die Mädchen doch aufheben, wenn sie mir zu Füßen hinfallen."

Der Verkehr des jungen Winter mit den Jüdinnen scheint übrigens nach allen Beobachtungen und Erkundigungen wirklich völlig harmlos geblieben zu sein. Nur eine bei den Gerichtsakten befindliche Karte der Meta Caspary an ihn läßt die Möglichkeit eines intimen Umgangs als nicht ganz ausgeschlossen erscheinen. Thatsächlich bekannt ist aber, daß Ernst Winter mit den Jüdinnen Schlittschuh lief, auch in den jüdischen Familien verkehrte und die Töchter dieser Familien auf der Straße grüßte.

In ähnlicher Weise hatte er auch Verkehr in christlichen Familien. Mit der Familie des Fleischermeisters Hoffmann verkehrte Ernst Winter aber nicht; er hat nie die Hoffmannsche Wohnung betreten. Mit dem Sohne des Herrn Hoffmann, der gleichzeitig mit ihm das Gymnasium besuchte, war der junge Winter indessen befreundet, und so kam es, daß er auch mit Anna Hoffmann bekannt wurde, indem die Kinder öfters in der Rhämgasse und am Mönchsee zusammen spielten. Als im Laufe der Jahre Ernst Winter zum Jüngling, Anna Hoffmann zum aufgeschossenen Mädchen herangewachsen war, grüßte er sie in üblicher Weise auf der Straße und unterhielt sich auch mit ihr gelegentlich, wenn sie in der Thür des väterlichen Hauses stand. Nur in diesen Formen hat sich der Verkehr zwischen Ernst Winter und Anna Hoffmann bewegt. Die eingehendsten Nachforschungen haben nichts anderes ergeben. Uebrigens ist Fräulein Anna Hoffmann am 22. Juni 1885 geboren, sie war also zur Zeit des Winterschen Mordes kaum den Kinderschuhen entwachsen.

Die Ausstreuungen, daß der junge Winter einen unsoliden Lebenswandel geführt habe, sind stark übertrieben. Schon der Mangel an jeglichen Geldmitteln stand dem entgegen; er bekam von seinen Eltern nur 5 bis 6 Mark Taschengeld für das Vierteljahr, wovon er seine kleinen Bedürfnisse an Handschuhen, Kravatten und Zigarren bestreiten mußte. Schulden hat er auch nicht gemacht, nur einmal mußte sein Vater eine Rechnung von drei Mark bei einem Kaufmann für ihn bezahlen.

Ernst Winter war aber lebenslustig, machte gern Bekanntschaften und war so recht die Persönlichkeit, die in einem Hinterhalt gelockt werden konnte. Daß er nicht aus der Stadt Konitz selbst stammte, machte ihn als Opfer besonders geeignet, weil die Nachforschungen nach einem verschwundenen auswärtigen Menschen erst zwei bis drei Tage später als nach einem Einheimischen zu erwarten waren, wie es ja auch in der That eingetroffen ist.

Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, Berlin 1901, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p009.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)