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So lebte der Ober-Tertianer Ernst Winter harmlos dahin und hatte keine Ahnung davon, daß eine Mörder-Sekte planmäßig auf ihn fahndete, um ihn gleichsam als Opfertier für ihre Gebräuche zu benutzen. Geschickt und überlegt sind seine Schwächen, seine jugendliche Eitelkeit und Lebhaftigkeit von den Mördern in Erwägung gezogen worden, um ihn in den Hinterhalt hineinzulocken.

Am 11. März 1900, dem Mordtage, besuchte Ernst Winter vormittags die Kirche. Von da begab er sich in den Zigarrenladen von Fischer, ohne dort aber etwas zu kaufen; er plauderte mit dem Inhaber des Geschäfts, schlenderte dann den Markt entlang nach seiner Wohnung (beim Bäcker Lange) zum Mittagessen. Nach Einnahme des Mittagsmahles ging er um 1 Uhr in sein Zimmer, das er mit noch zwei Gymnasiasten teilte, und erzählte seinen Stubenkollegen, er sei nachmittags zu einem Geburtstage eingeladen, worauf diese ihn noch mit seinen Bekanntschaften mit den jüdischen Mädchen neckten. Um zwei Uhr nachtmittags verließ er das Haus. Gesehen ist er noch vor dem Hause des jüdischen Kaufmanns Caspary, dann in der Danziger- und zuletzt, gegen 5 1/2 Uhr, in der Schützenstraße. Seitdem ist er lebend nicht mehr erblickt worden.

Die Auffindung der Körperteile.

Am Montag, den 12. März, nachmittags erhält der Bauunternehmer Winter zu Prechlau die Nachricht, daß sein Sohn Ernst seit Sonntag Nachmittag verschwunden sei. Er fährt sofort nach Konitz und macht dem Chef der Polizei, dem Bürgermeister Deditius, Anzeige. Die Polizei verlangt von dem Vater nähere Angaben, um etwas veranlassen zu können. Der Vater muß sich deshalb selbst auf die Suche begeben und beginnt mit Hilfe des Bäckermeisters Lange (des Pensions-Vaters des Verschwundenen) die Ufer und die Eisdecke des inmitten der Stadt Konitz belegenen Mönch-Sees abzusuchen, weil sein Sohn möglicherweise dort verunglückt sein könnte. Die Nachforschungen sind zunächst erfolglos.

Erst am Nachmittage des 13. März fällt den Suchenden auf, daß in der Nähe der städtischen Spüle das Eis an einer Stelle zerschlagen ist. Man fährt mit einem Stocke unter das Eis und bringt ein großes in zwei Bogen rotbraunes Packpapier einigeschnürtes Packet zum Vorschein. Das Papier wird entfernt und man findet einen in Packleinwand sorgfältig eingenähten Gegenstand. Eine Naht wird aufgetrennt, die nackte Brust eines Menschen kommt zum Vorschein! Menschen versammen sich, die Polizei wird geholt, der Gerichtsarzt, Kreisphysikus Sanitätsrat Dr. Müller, ist auch bald zur Stelle, desgleichen der Staatsanwalt Settegast und der Bürgermeister Deditius. Die Packleinwand wird ganz beseitigt, und ein wahrhaft grausiger Anblick bietet sich den Umstehenden: Der Rumpf eines jungen Menschen ohne Kopf und Hals, ohne Arme, nur der Oberkörper bis unter die Rippen, das Rückgrat durchsägt, bildet den Bestand des schauerlichen Fundes. Der Vater Winter erkennt an bestimmten Merkmalen den Oberkörper seines verschwundenen Sohnes Ernst.

Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, Berlin 1901, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p010.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)